Interview Ulrich Clancett Erfahren im Umgang mit Zuwanderung

Grevenbroich · Regionaldekan Ulrich Clancett spricht über St. Martin als "Held der Volkssolidarität" und Bewegungen wie Pegida.

 Regionaldekan Ulrich Clancett glaubt an die Kraft des "liberalen, niederrheinischen Christentums", wie er sagt: "Die Ablehnung des Fremden ist nicht gesellschaftlich prägend."

Regionaldekan Ulrich Clancett glaubt an die Kraft des "liberalen, niederrheinischen Christentums", wie er sagt: "Die Ablehnung des Fremden ist nicht gesellschaftlich prägend."

Foto: Isabella Raupold

Herr Clancett, wir sind mitten in der Zeit der St. Martinsumzüge und -feiern. In Düsseldorf haben Kindertagesstätten das Martinsfest in Laternenfest umbenannt, mit der Begründung, das geschehe aus Rücksicht auf andere Religionen. Wie sehen Sie das? Muss man um St. Martin kämpfen?

Clancett Ja, ich denke schon. Man muss darum kämpfen, indem man sich seine eigene Identität und Herkunft bewusst macht. Wir leben in einer Zeit der Entgrenzung, in der Regeln der Beliebigkeit anheimgestellt werden. Alles verschwimmt und Symbole verschwinden. Dabei brauchen wir heute mehr denn je Orientierung und Rückhalt. St. Martin kann uns das geben. Er teilt seinen Mantel, er gibt als Soldat sogar Staatseigentum weg, so ähnlich, als würde heute ein Soldat seine kugelsichere Weste teilen. Er ist ein gutes Beispiel. Man kann an ihm vieles aufzeigen. Zum Beispiel anhand der Frage: Was brauche ich wirklich - den ganzen Mantel oder vielleicht nur die Hälfte?

Also sollte es keinen Verzicht auf St. Martin im Namen der Integration geben?

Clancett Nein, Muslime stehen meist fassungslos da und fragen, was das soll. Es ist ein wunderbares Fest und eine gute Tradition. Es ist noch nicht einmal in der DDR gelungen, das Martinsfest abzuschaffen. In Erfurt gab und gibt es große St. Martinsumzüge. Zu DDR-Zeiten ritt auch ein Reiter voran, der wurde nur nicht St. Martin, sondern Held der Volkssolidarität genannt. Noch einmal: Wir sollten uns nicht dieser Symbole begeben. Weltanschauliche Neutralität des Staates heißt nicht, die Weltanschauung abzuschaffen.

Was halten Sie denn von Pegida und ihren Ablegern, die für sich in Anspruch nehmen, das christliche Abendland zu retten?

Clancett Es ist schon interessant: In Dresden rettet Pegida das Christentum in einer Stadt ohne Christen und praktisch ohne Ausländer. Sie demonstrieren für etwas, das sie nicht haben, und gegen etwas, das nicht da ist. Um Deutschland vor der Islamisierung zu retten, kann ich nur mit Frau Käsmann sagen, mit der ich sonst nicht immer übereinstimme: Besuchen Sie doch einfach Ihre eigene Kirche. Die beste Versicherung für ein christliches Abendland ist praktiziertes Christentum.

Glauben Sie, dass sich eine Bewegung wie Pegida auch in der Nachbarstadt Mönchengladbach ausbreiten kann? Gerade erst gab es eine Demonstration unter dem Motto "Merkel muss weg".

Clancett Einerseits muss man aufpassen, denn es gibt sicher wie überall ein Potenzial in dieser Stadt, dessen Aggressionsbereitschaft hoch ist. Aber ich glaube dennoch nicht, dass das in Mönchengladbach greift. Rheinländer haben eine gute Tradition, mit Zuwanderung umzugehen. Die Ablehnung des Fremden ist nicht gesellschaftlich prägend, hier wird traditionell ein liberales niederrheinisches Christentum gelebt. Mit dem Bündnis für Menschenwürde gibt es auch eine Organisation, die gegenhalten kann.

Empfinden Sie muslimische Fundamentalisten wie die Salafisten nicht als Bedrohung?

Clancett Das sind Extremisten, die wir aber auch bei Christen finden. Ich war vor kurzem in Jordanien und habe dort einen so toleranten, weltoffenen und freundlichen Islam vorgefunden, wie ich ihn mir überall wünschen würde. Die koptische Kirche stand neben der Moschee, alles war sehr befriedet.

Was tut die katholische Kirche, um die Menschen anzusprechen? Der Personalmangel trägt heute ja eher dazu bei, Menschen vor den Kopf zu stoßen, etwa wenn der Pfarrer zu spät kommt, weil er noch eine andere Messe lesen musste.

Clancett Eins ist klar: Wenn das Personal wegbricht, muss man sich konzentrieren und das Programm beschneiden. Das ist schmerzlich, aber es kann dann nicht in jeder Kirche jeder Gottesdienst gefeiert werden. Aber genauso wichtig ist es, dass jedem bewusst ist: Die Kirche besteht nicht nur aus den Pfarrern. Jeder ist ein Stück der Kirche. Eltern, die mit ihren Kindern in die Kirche gehen, oder Lehrer, die die Religion vermitteln, sind genauso wichtig wie die Pfarrer.

Stört es Sie, dass zu Weihnachten die Kirchen plötzlich voll mit Leuten sind, die sich sonst nie blicken lassen?

Clancett Nein, ich freue mich über jeden. Warum sollte ich Leute dafür beschimpfen, dass sie zur Kirche kommen? Ich empfinde das als Ansporn. Es ist eine Möglichkeit, die Menschen zu erreichen.

RALF JÜNGERMANN, GABI PETERS UND ANGELA RIETDORF FÜHRTEN DAS GESPRÄCH

(NGZ)
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