Grevenbroich Grevenbroich in den wilden Sechzigern

Grevenbroich · Als die "Orchidee" die verrufenste Kneipe der Stadt war, die Politiker eine Hochstraße planten und die Nato in Kapellen eine Raketenstation ansiedelte. Thomas Wolf vom Stadtarchiv erinnert an Grevenbroich während der Beatles-Ära.

 Markantes Wahrzeichen am Erftufer: Der "Eulenturm" stand in unmittelbarer Nähe der evangelischen Christuskirche. Er wurde 1967 von der Grevenbroicher Feuerwehr abgerissen. Heute erinnert ein Metallgestell an den Turm.

Markantes Wahrzeichen am Erftufer: Der "Eulenturm" stand in unmittelbarer Nähe der evangelischen Christuskirche. Er wurde 1967 von der Grevenbroicher Feuerwehr abgerissen. Heute erinnert ein Metallgestell an den Turm.

Foto: Stadtarchiv

Vor gut einer Woche wurde im Museum der Niederrheinischen Seele, Villa Erckens, die Ausstellung "Linda McCartney" eröffnet. Jetzt sprach Stadtarchivar Thomas Wolff über die "wilden 60er Jahre" in Deutschland und spannte immer wieder auch einen Bogen zu Grevenbroich. Doch bevor er loslegte, versetzte Stefan Pelzer-Florack mit einigen 60er Jahre-Evergreens wie "If you're going to San Francisco" oder "Marina, Marina" die Besucher in die Zeit des Wirtschaftswunders, aber auch der Aufmüpfigkeit der jungen Leute. Der Vortrag von Thomas Wolff war wie ein Crashkurs in jüngerer Geschichte.

Nein, in Grevenbroich hat es keine "Kommune 1" gegeben, aber so ganz brav ging es auch hier in den 60er Jahren nicht zu. Das lag vor allem an der "Orchidee", einer Musikkneipe an der Wallgasse - sie galt als verrufen. Trotzdem traten die "Vampires" mit Günter Cremer und die "Mods" mit Matthias Nobis auf - diese Band hatte die Impulse der Beatles aufgegriffen und spielte häufig auch in "Die schwatte Lies" in Elsen-Fürth.

 Quirliges Treiben auf dem Markt. Eine Fußgängerzone gab es noch nicht. Die kam erst in den 1970er Jahren.

Quirliges Treiben auf dem Markt. Eine Fußgängerzone gab es noch nicht. Die kam erst in den 1970er Jahren.

Foto: Stadtarchiv

Die Wut auf die Väter und Großväter in den 60ern hatte ihre Ursache unter anderem im Umgang mit der Nazi-Vergangenheit. Vergessen und Verdrängen waren angesagt. Thomas Wolff erinnerte an Heinz-Werner Kabitsch, den damaligen Leiter der Grevenbroicher Polizeibehörde: "Er kam 1964 in Untersuchungshaft, wurde erst ein Jahr später wieder entlassen." Kabitsch war im Warschauer Ghetto als Kompaniechef für die Banden- und Partisanenbekämpfung zuständig - und wurde nicht verurteilt, obwohl er ein besonders eifriger Polizei-Offizier gewesen sein soll.

In Frimmersdorf, das erst seit der Kommunalen Neugliederung zu Grevenbroich gehört, war ab Mitte der 1950er Jahre der Wirtschaftsaufschwung mit dem Bau der Großkraftwerke von weitem sichtbar. Zu dieser Zeit entstand auch die Vollrather Höhe. 1965 hatte der geistige Vater der Sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, einen Wahlkampfauftritt in Grevenbroich. Wolff erzählte von der geplanten Hochstraße, ähnlich dem früheren "Tausendfüßler" in Düsseldorf, gegen den sich die Geschäftsleute erbittert zur Wehr setzten - gebaut wurde dann Anfang der 1980er Jahre der Elsbach-Tunnel.

 Der Grevenbroicher Bahnhof in den Sechzigern - damals gab es dort sogar noch freie Parkplätze.

Der Grevenbroicher Bahnhof in den Sechzigern - damals gab es dort sogar noch freie Parkplätze.

Foto: Stadtarchiv

In den 1960er Jahren begann in Grevenbroich die Diskussion über eine Fußgängerzone - 1974 wurde sie dann endlich eingerichtet. Und auch die Zeit des Verdrängens war vorbei: 1964 wurde auf dem jüdischen Friedhof ein Mahnmal zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus errichtet. Der Wirtschaftsaufschwung war am Bauboom ablesbar: So wurde 1966 das Hochhaus der Kreisverwaltung gebaut, überall waren Baukräne zu sehen. Der Kalte Krieg erreichte übrigens auch die Schlossstadt: So wurde eine Nato-Raketenstation in Kapellen errichtet. Heute werden dort Schafe gezüchtet.

(NGZ)
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