Christian Berger "Ich hätte lieber einen Blumenkübel als ein angefahrenes Kind"

Grevenbroich · Der Anwohner ist enttäuscht über den Beschluss des Verkehrsausschusses.

Was halten Sie vom Beschluss des Umwelt- und Verkehrsausschusses, auf weitere bauliche Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung der Hildegard-von-Bingen-Straße zu verzichten?

Berger Ich bedaure diesen Beschluss. Auch wenn ich die Argumentation der Gemeinde in Teilen nachvollziehen kann: Wenn Vorschriften und Appelle nicht fruchten, muss die Einhaltung von Vorschriften durch andere Maßnahmen durchgesetzt werden. Bauliche Maßnahmen sind meines Erachtens die einzige Möglichkeit, massive Geschwindigkeitsüberschreitungen, wie wir sie bei uns teilweise beobachten, dauerhaft zu unterbinden. Ich hätte lieber einen Blumenkübel neben meiner Einfahrt als ein angefahrenes Kind.

Die Anlieger sollen laut Gemeindeverwaltung in der Hauptsache diejenigen sein, die sich nicht an die Schrittgeschwindigkeit in der Straße halten: Wie beurteilen Sie die Situation?

Berger Die Verwaltung fasst den Begriff der Anlieger sehr weit. Die Anwohner des vor allem betroffenen nördlichen Astes der Hildegard-von-Bingen-Straße halten sich zum größten Teil an die vorgegebene Schrittgeschwindigkeit. Die Gemeindeverwaltung zählt zu den Anliegern aber auch die Anwohner anderer Straßen des Baugebietes, für die die Hildegard-von-Bingen-Straße eine Durchgangsstraße zur Konrad-Duden-Allee darstellt. Nach unseren Beobachtungen sind es vor allem Anwohner dieser Straßen, die - neben Zustellern, Baufahrzeugen, Eisverkäufern, Lieferdiensten und Besuchern - immer wieder mit zu hoher Geschwindigkeit auffallen.

Im Fachausschuss war die Rede von unterschiedlichen Gerichtsurteilen und Interpretationsmöglichkeiten des Begriffes Schrittgeschwindigkeit, die zwischen 7 und bis zu 20 km/h rangieren sollen. Was verstehen Sie unter Schrittgeschwindigkeit?

Berger Es gibt vier Urteile von Oberlandesgerichten, wonach unter Schrittgeschwindigkeit 7 bzw. 10 km/h zu verstehen sind. Die Polizei in NRW geht bei ihren Messungen ebenfalls von max. 10 km/h aus. Die Gemeindeverwaltung stützt sich auf ein Urteil eines Amtsgerichtes, nach dem die Schrittgeschwindigkeit 15 km/h beträgt, und leitet daraus ab, dass 20 km/h noch vertretbar sind. Da aber in verkehrsberuhigten Bereichen Kinderspiele überall erlaubt sind, muss der Schutz dieser schwächsten Verkehrsteilnehmer ist meines Erachtens der einzig relevante Maßstab für die Auslegung des Begriffes Schrittgeschwindigkeit. Daher bin ich der Ansicht, dass sich die Gemeindeverwaltung Jüchen der Interpretation der Oberlandesgerichte und der Polizei NRW anschließen sollte, wonach die Schrittgeschwindigkeit bei höchstens 10 km/h liegt.

Werden Sie nach dem Beschluss des Fachausschusses, Bürgerbriefe an die Anlieger zu versenden und ggf. noch mal Tempomessungen in Ihrer Straße durchzuführen, noch weiter aktiv werden?

Berger Grund für mein Engagement ist die aktuelle Verkehrssituation auf der Hildegard-von-Bingen-Straße. Sofern die geplanten Maßnahmen zu einer substantiellen Verbesserung führen und die Gefährdung unserer Kinder und anderer Passanten wieder zur absoluten Ausnahme geworden ist, ist das Ziel meiner Aktivitäten erreicht. Falls die Situation aber weitgehend unverändert fortbesteht, werde ich mir genauso wie die anderen engagierten Anwohner überlegen müssen, wie weiter vorzugehen ist.

Worin sehen Sie die Hauptursachen der zu hohen Geschwindigkeiten?

Berger Neben Rücksichts- und Gedankenlosigkeit ist sicherlich Unwissenheit zu nennen. Vielen Verkehrsteilnehmern ist gar nicht bewusst, dass in einer verkehrsberuhigten Zone Schrittgeschwindigkeit einzuhalten ist. Daher auch die wiederholte Bitte an die Gemeindeverwaltung, Hinweise auf die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit auf der Fahrbahn beziehungsweise am Straßenrand anzubringen. Wichtiger ist aber die bauliche Situation. Alle Straßen des Baugebietes sind optisch durch eine Regenablaufrinne in zwei "Fahrstreifen" geteilt und mit 6,80 Meter etwa einen Meter breiter als die Fahrbahn der Ortsdurchfahrt der B 59 in Jüchen. Die alternierend eingerichteten Parkflächen sind teilweise so weit voneinander entfernt, dass sie den Verkehrsfluss nicht beeinträchtigen und auch die zur Geschwindigkeitsreduzierung eingerichteten scharfen Kurven wurden durch einen breiteren Ausbau, das heißt Straßenbreiten von teilweise über zehn Metern, zu sehr entschärft.

GUNDHILD TILLMANNS STELLTE DIE FRAGEN

(NGZ)
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