Grevenbroich Jugendstil-Heft erinnert an alten Musikverein

Grevenbroich · Die "Harmonische Gesellschaft" wurde vor 150 Jahren in Grevenbroich gegründet. Aus der Taufe hob sie ein gewisser "Montanus".

 Der Heimatmaler Carl Oberbach gestaltete die Festschrift, die 1902 zum Stiftungsfest herausgegeben wurde.

Der Heimatmaler Carl Oberbach gestaltete die Festschrift, die 1902 zum Stiftungsfest herausgegeben wurde.

Foto: Berns Lothar

Hans Wagner, ehemaliger Mitarbeiter des Stadtarchivs, sammelt viele Histörchen aus Grevenbroich. Ungezählte Fotografien und Dokumente aus der Geschichte der Schlossstadt befinden sich in seinem Privatarchiv. Zu den von ihm gut gehüteten Schätzen zählt eine handgemalte und -gezeichnete Festschrift von 1902. Sie erinnert an einen Verein, der vor 150 Jahren aus der Taufe gehoben wurde: die "Harmonische Gesellschaft", gegründet 1866 von einem der prominentesten Söhne Grevenbroichs, dem Schriftsteller und Notar Vinczenz von Zuccalmaglio (1806-1876), der unter dem Pseudonym "Montanus" veröffentlichte.

"Die Festschrift ist etwas ganz Besonderes", sagt Hans Wagner. Herausragend sind vor allem die darin enthaltenen Zeichnungen, die aus der Feder von Carl Oberbach (1869-1939) stammen. Neben einem detailreichen Titelblatt im Jugendstil-Look hat der Heimatmaler die wichtigsten Köpfe und die Vereinslokale der Gesellschaft im Bild festgehalten. Zudem finden sich in dem großformatigen Heft witzige Szenen nach Wilhelm-Busch-Art - sie sollen an die feucht-fröhlichen Ausflüge der Mitglieder erinnern.

Als die großformatige Festschrift erschien, war Vinzenz von Zuccalmaglio schon seit 26 Jahren tot. Er hatte einst die "Harmonische Gesellschaft" gegründet, um den Gesang, das Orchester- und Theaterspiel in Grevenbroich zu pflegen. Bei dieser Gelegenheit sollte auch die "musikalische und sittliche Bildung" nicht zu kurz kommen. "Mit der intensiven Unterrichtung der Jugend nahm die ,Harmonia' die Musikschul-Bewegung unserer Zeit vorweg", schreibt der ehemalige Vorsitzende des Grevenbroicher Geschichtsvereins, Wilhelm Lauth, der sich intensiv mit dem Grevenbroicher Verein beschäftigt hat.

 Die Rückseiten-Gestaltung des großformatigen Heftes erinnert an die Zeichnungen von Wilhelm Busch (1832-1908).

Die Rückseiten-Gestaltung des großformatigen Heftes erinnert an die Zeichnungen von Wilhelm Busch (1832-1908).

Foto: Berns Lothar

Am 10. November 1866, an Friedrich von Schillers Geburtstag, wurde die "Harmonische Gesellschaft" gebildet, 63 Männer traten dem Verein schon am Gründungstag bei, um sich den drei Richtungen Orchester, Gesang und Drama zu widmen. Der erste öffentliche Auftritt im März 1867 war gleich ein Angriff auf das Sitzfleisch der Zuhörer. Denn die Grevenbroicher boten ein extrem umfangreiches Programm mit Chorgesang, Orchestermusik und zwei Lustspielen. Die Kritik war aber begeistert: "Es war ein schöner Abend, der in den Annalen der Kreisstadt mit dem Rot der Freude angestrichen zu werden verdient", urteilte der Rezensent des Kreisblates überschwänglich.

Die antiklerikale Einstellung von Zuccalmaglio brachte dem Verein nicht nur Freunde ein. Der Pastor wetterte von der Kanzel gegen die "Harmonische Gesellschaft" - und er entzog sogar einem Vater, der seinen Sohn auf Kosten des Vereins im Violinspiel unterrichten ließ, die bis dahin bezogene Armenmittel-Unterstützung. Die örtliche Geistlichkeit fand sich denn auch nicht zu den Veranstaltungen der "Harmonia" ein. Sie besuchte lieber die Konzerte des Männergesangvereins "Liederkranz", den "Montanus" zwar auch gegründet, aber nach einem Streit mit dem Vorstand verlassen hatte. "Die Feindschaft zwischen den Anhängern des ,Liederkranz' und denen der ,Harmonia' wurde noch verschärft durch den beginnenden Kulturkampf und die Hinwendung Zuccalmaglios zum altkatholischen Bekenntnis", schreibt Wilhelm Lauth. Die Kluft zwischen den Lagern war später so groß, dass Parteigänger beider Seiten voreinander ausspuckten, wenn sie sich auf der Straße begegneten.

Nichtsdestotrotz glänzte die "Harmonische Gesellschaft" mit großartigen Inszenierungen, die ihr volle Säle bescherte. Nach dem Tode ihres Gründers verlor der Verein aber mehr und mehr an Bedeutung. Trotz einer kurzen Erholung um die Jahrhundertwende - die sich auch in der Schrift zum Stiftungsfest 1902 widerspiegelt - war er praktisch nicht mehr existent. Die endgültige Auflösung der "Harmonia" wurde im Februar 1934 von den Nationalsozialisten erzwungen.

(NGZ)
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