Grevenbroich Zwischen Todesangst und neuer Hoffnung

Grevenbroich · Heute vor 70 Jahren endete in Deutschland der Zweite Weltkrieg. Ende Februar, Anfang März hatte die Alliierten das heutige Grevenbroicher Stadtgebiet befreit. Elisabeth und Peter Schiffer aus Hemmerden erinnern sich an diese Tage.

 Alliierte Truppen in Neuenhausen, der Ort wurde am 3. März 1945, zwei Monate vor Kriegsende, eingenommen.

Alliierte Truppen in Neuenhausen, der Ort wurde am 3. März 1945, zwei Monate vor Kriegsende, eingenommen.

Foto: Stadtarchiv

Wenn Elisabeth Schiffer aus Hemmerden von dem erzählt, was sie vor etwas mehr als 70 Jahren erlebt hat, bekommt sie noch immer Gänsehaut. Und auch ihrem zwei Jahre älteren Mann Peter (80) geht es nicht anders. Das Ehepaar zählt heute zu den wenigen noch lebenden Zeitzeugen, die sich klar an das erinnern, was in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs im Rhein-Kreis Neuss geschehen ist.

Peter Schiffer war damals 15 Jahre alt und brachte eine Odyssee hinter sich. Tagelang begab er sich zwischen der deutschen und der amerikanischen Front in Lebensgefahr. Seine heutige Frau Elisabeth war damals neun Jahre alt - und hört noch heute das Heulen der Luftminen, das oft ertönte, während sie mit ihrer Familie in einem Reuschenberger Luftschutzkeller und später in einem Bunker ausharrte.

Beide haben sich erst Jahre nach dem Krieg kennengelernt - doch die wohl dramatischsten Erfahrungen ihres Lebens verbindet Peter und Elisabeth Schiffer auf eine besondere Weise. "Ich hatte damals eine Lehrstelle als Werkzeugmacher in einer Neusser Firma", erinnert sich Peter Schiffer, der im Januar 1945 ins sogenannte Wehrertüchtigungslager nach Kaarst eingezogen wurde. "Dort musste ich eine militärische Ausbildung absolvieren. Zum Beispiel das Schießen üben", berichtet der 80-Jährige, der als jüngstes Kind einer bäuerlich-christlichen Familie schon damals in Hemmerden lebte.

Eines Tages, so Schiffer, sei sein Vater Andreas mit dem Fahrrad nach Kaarst gefahren, um ihn zu warnen. "Er sagte mir, dass die Amerikaner bereits bei Jülich die Rur überquert hatten - und dass es bald ernst werde", erzählt Schiffer, der zu diesem Zeitpunkt noch keinen Eid geleistet hatte. "Ich hatte große Angst, in Kriegsgefangenschaft zu geraten und wollte nur noch eines: raus aus dem Lager", sagt Peter Schiffer.

Er flüchtete wenige Tage später, obwohl er wusste, dass die Amerikaner zwischenzeitlich auch in Hemmerden einmarschiert waren und deutsche Soldaten sich mit ihnen letzte, sinnlose Gefechte bei Kapellen lieferten. "Ich war in einem großen Zwiespalt. Ich hatte Angst vor den Amerikanern. Aber auch Angst, in Kriegsgefangenschaft zu geraten. So hing ich zwischen den Fronten, machte mich aber trotzdem auf den Weg zurück nach Hemmerden", berichtet Schiffer.

Ganze sieben Tage war er mit dem Fahrrad unterwegs - auf dem Weg von Kaarst nach Hemmerden ging es nur langsam voran. "Immer wieder gab es Beschuss, ich musste mich im Straßengraben vor den Kugeln schützen und warten, bis es vorbei war, ehe es weiterging. Es war sowohl deutscher als auch amerikanischer Beschuss."

Immer wieder hatte Schiffer Todesangst, bis er sich endlich bei Kapellen in einen Bunker flüchten konnte. "Dort war ich bestimmt drei Tage", sagt der Hemmerdener. "Erst dann ging es weiter. In Kapellen habe ich in einem Hauseingang die ersten toten deutschen Soldaten liegen sehen." Erst nach einer Woche kam Peter Schiffer auf dem elterlichen Hof an - er ist aber froh, die Flucht angetreten zu sein. "Wäre ich im Kaarster Wehrertüchtigungslager geblieben, hätte ich wohl in Gefangenschaft gemusst. So wie meine drei Brüder, die in englischer und russischer Gefangenschaft festsaßen und erst lange Zeit nach Kriegsende zurückkehrten", so Schiffer, dessen Frau Ähnliches erlebt hat.

"Ich hatte noch nie in meinem Leben so große Panik wie in den Luftschutzkellern und Bunkern", sagt Elisabeth Schiffer. "Mein Vater sagte damals im Keller zu uns, wenn die Bomben fielen: ,Haltet die Luft an und macht den Mund auf'. Damit unsere Lungen nicht platzten", beschreibt die 78-Jährige die dramatischen Szenen im provisorisch abgestützten Luftschutzkeller ihres Elternhauses.

Direkt gegenüber wurde in den letzten Tagen ein Luftschutzbunker gebaut, der übrigens noch heute als Relikt des Zweiten Weltkriegs in Reuschenberg besteht. Erst als die Menschen im Bunker weiße Bettlaken nach außen hängten, war für sie der Krieg vorbei.

(NGZ)
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