Haan "Hört die Flüchtlinge an, nicht die Regierungen!"

Haan · Jawad Rassuli lebt als Asylsuchender in Haan. Der junge Afghane ist erschüttert, dass sein Land als "sicher" eingestuft wird.

 Jawad Rassuli zeigt ein Foto, auf dem Kinder in Afghanistan Hinrichtung spielen.

Jawad Rassuli zeigt ein Foto, auf dem Kinder in Afghanistan Hinrichtung spielen.

Foto: Olaf Staschik

Die Bundesregierung stuft Afghanistan als sicheres Land ein, in das abgelehnte Asylbewerber wieder zurückgeschickt werden können. Bilder, die Jawad Rassuli aus sozialen Netzwerken seines Heimatlandes kennt, sprechen eine ganz andere Sprache - von Splittern eines Sprengsatzes verletzte Männer, Tote liegen nach einem Anschlag auf der Straße, Kinder, die offenbar Hinrichtung spielen und sich Pistolen an den Kopf halten.

Sieben Monate lebt Jawad Rassuli jetzt schon in Haan. In der früheren Landesfinanzschule an der Kaiserstraße ist der 24-Jährige einquartiert. Er stammt aus der Stadt Pawan im Bezirk Kabul und wollte im politischen Bereich arbeiten. 2014 hat er Abdullah Abdullah während dessen Wahlkampf unterstützt, war dabei, als politische Führer Staatsbesucher - etwa Angela Merkel - begrüßten. Irgendwann begann die Bedrohung mit nächtlichen Anrufen, die sich bis hin zu Todesdrohungen steigerten. Unbekannte lauerten ihm auf und schlugen ihn brutal zusammen. Jawad Rassuli wechselte den Wohnort. Um der Bedrohung zu entgehen, entschloss er sich, das Land zu verlassen und in Deutschland Asyl zu beantragen. Er verkaufte sein Haus, um die Flucht für Bruder, Mutter und sich bezahlen zu können - 10.000 Dollar pro Person.

Doch es lief anders als gedacht. An der Grenze zum Iran war nicht genügend Platz im Bus - die Familie wurde getrennt. Er wartete fünf Tage hinter der Grenze - vergeblich. Der Kontakt riss ab. Zu allem Überfluss fiel sein Telefon bei der Schlauchbootüberfahrt von der Türkei nach Griechenland ins Wasser und versank. Erst vor wenigen Wochen gelang erstmals ein Telefonat mit der Mutter - nach sechs Monaten. Sie und der Bruder sind, nach einigen Monaten in der Türkei, wieder nach Afghanistan zurückgekehrt - halten aber ihren Wohnort geheim. "Niemand kann Sicherheit geben", ist Jawad Rassuli überzeugt. Und er versteht nicht, dass die Bundesregierung sein Heimatland als sicher einstuft. Nur weil der Staatschef erkläre, Afghanistan sei sicher? Rassuli hat einen ganz anderen Eindruck: Das Land nimmt nur Flüchtlinge aus Deutschland zurück - weil Geld fließt. Aus Pakistan, wohin viel mehr Landsleute geflohen seien, dürfe niemand mehr zurück.

"Hört die Flüchtlinge an, nicht die Regierungen!", fordert Rassuli die Verantwortlichen im Staat auf. Denn die Flüchtlinge wüssten, wie es wirklich aussieht im Land. Kabul möge relativ sicher sein, aber in anderen Bereichen sei das ganz und gar nicht so. Da gebe es schwere Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen.

Auf Vermittlung der Rheinischen Post wird Michaela Noll Anfang Mai das "Café international" in Haan besuchen, das jeden Samstag im Haus an der Kirche, Kaiserstraße 40, öffnet. Die Bundestagsvizepräsidentin wird dann aus erster Hand hören, welche Schicksale Flüchtlinge hinter sich haben. Im Cafe International treffen sich Haaner und Flüchtlinge in zwangloser Runde bei Kaffee, Tee und Kuchen, lernen sich gegenseitig kennen. "Da gibt es oft erschütternde Berichte", berichtet Leiterin Barbara Olbertz.

Afghanen, so weiß Ute Hollweg, die seit viereinhalb Jahren einen Deutschkursus leitet, gelten unter den Asylbewerbern - wegen ihres "sicheren Heimatlandes" - als Flüchtlinge zweiter Klasse. In den Kursen, besucht von Menschen aus Eritrea, Iran, Irak und Syrien herrsche großes Konkurrenzdenken. Alle Afghanen hätten nach den jüngsten Abschiebeflügen Angst. "Wir wollen nur unser Leben leben", betont Jawad Rassuli.

(RP)
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