Kreis Mettmann Als das erste Fahrrad in die Region kam

Kreis Mettmann · Ein Sturz vom Hochrad konnte damals durchaus tödlich enden. Ab 1908 durfte man nur mit Erlaubnis auf die Straße.

 Paul Hucklenbruch begleitet mit seinem Fahrrad ein 1912 hergestelltes Fahrzeug der Marke "Eigenbau". Am Steuer: Paul von Kamp, daneben Beifahrer Ernst Veldung (mit Hut), neben dem Gefährt steht Alfred von Kamp (links).

Paul Hucklenbruch begleitet mit seinem Fahrrad ein 1912 hergestelltes Fahrzeug der Marke "Eigenbau". Am Steuer: Paul von Kamp, daneben Beifahrer Ernst Veldung (mit Hut), neben dem Gefährt steht Alfred von Kamp (links).

Foto: Stadtarchiv Mettmann

Als Ferdinand Boniver zur Jahrhundertwende zum ersten Mal in die Pedale trat, um mit seinem neuen Gefährt vom damaligen Elberfeld aus zu seinem Mettmanner Firmensitz zu radeln, dürften ihm bewundernde Blicke sicher gewesen sein. Bis dahin hatte wohl noch niemand ein solches Gerät gesehen.

 Eine Radfahrkarte, ausgestellt am 1. August 1908 auf den Mettmanner Bürger Georg Riemenschneider.

Eine Radfahrkarte, ausgestellt am 1. August 1908 auf den Mettmanner Bürger Georg Riemenschneider.

Foto: Medamana

Nun ja, in den Großstädten gehörten besagte Hochräder wohl längst zum Alltag. Aber in Mettmann? Und in Hahnenfurth, wo sich damals noch Fuchs und Hase gute Nacht sagten? Es muss ein Spektakel gewesen sein, wenn sich Boniver mit seinem Hochrad durch die Dörfer strampelte. Und das darf durchaus wörtlich genommen werden, denn heute kommt einem dazu vor allem eines in den Sinn: Wie schafft man es, mit einem derart opulentem Drahtesel eine durchaus anspruchsvolle Berg- und Talfahrt zu überleben? "Diese Touren endeten nicht selten mit einem Sturz, zuweilen gar mit dem Genickbruch des stolzen Radlers", weiß Ludwig Rasche in der "Medamana" zu berichten. Der Heimatforscher hatte sich schon vor 40 Jahren auf Spurensuche begeben und so allerlei Kuriositäten ausgegraben, die man heute wohl als den Beginn einer Ära umschreiben würde.

Man könnte es auch so sagen: Boniver hatte mit seinem modernen Gefährt offenbar einen Trend im wahrsten Sinne des Wortes "losgetreten". Nur wenige Jahre später sah man sich jedenfalls schon genötigt, eine typisch deutsche Verordnung zu erlassen. Denn im Jahre 1908 durfte niemand mehr einfach so durch die Mettmanner Straßen radeln, ohne eine Radfahrkarte vorzeigen zu können. Und nicht nur das: Die Radler hatten sich pingelig an die Vorschriften zu halten, um keinen Ärger mit der Obrigkeit heraufzubeschwören. Es wurde eine Regierungspolizeiverordnung für den Radfahrverkehr erlassen, und die konnte durchaus den Anschein erwecken, als sei schon damals die halbe Stadt mit dem Drahtesel unterwegs gewesen.

 Der Fabrikant Ferdinand Boniver im Radlerdress mit seinem Hochrad in den 1890er Jahren. Er fuhr mit seinem Gefährt damals beinahe täglich von Elberfeld zum Firmensitz in Mettmann.

Der Fabrikant Ferdinand Boniver im Radlerdress mit seinem Hochrad in den 1890er Jahren. Er fuhr mit seinem Gefährt damals beinahe täglich von Elberfeld zum Firmensitz in Mettmann.

Foto: Medaman

An prominenter Stelle ist darin von einer Hemmvorrichtung die Rede, ohne die das Radeln quasi tabu war. Man fragt sich, wie viele Verrückte es in Mettmann wohl gegeben haben mag, die sich ohne Bremsen auf ein Hochrad gesetzt haben. Aber damit war es noch nicht genug. Im Dunkeln sei eine Laterne mitzuführen, um Kollisionen mit Mensch und Tier zu vermeiden. Mit dem Rad ohne Bremsen und ohne Beleuchtung über Straßen, die der moderne Radler noch nicht mal zu Fuß betreten würde? Im Rückblick scheint Radfahren auf den Mettmanner Wegen einem Selbstmordkommando gleichgekommen zu sein, vor dem man die Bürger unbedingt bewahren wollte. Dass keinesfalls rot leuchtende Laternen mitzuführen sind, um nicht - wie bereits geschehen - Züge an der Weiterfahrt zu hindern, war den Herrschaften bei der Polizei eine besondere Erwähnung wert. Und ja, bei Nebel sollte die Laterne natürlich auch mitgeführt werden. Dazu auch noch eine Glocke, die aber nur geläutet werden sollte, wenn man sicher gehen konnte, damit weder Passanten noch Tiere zu erschrecken. Warum aber sollte denn überhaupt noch geläutet werden - wo doch niemand in der Nähe sein durfte, dem die Warnung hätte gelten können?

Auf schlüpfrigen Wegen solle man zudem langsam fahren, ebenso wie an Straßenkreuzungen. Sinnloses Klingeln sollte freilich unterlassen werden. Und wenn gar nichts mehr ging, half auch damals nur: absteigen! Um der Polizeigewalt nicht davonradeln zu können, sollte dann auch noch ein Nummernschild mitgeführt werden.

Das allerdings schien dann doch zu viel Gängelei gewesen zu sein. "Höheren Ortes wurde von der Nummerierung der Fahrräder abgesehen", ließ Ludwig Rasche seine Leserschaft wissen. Inzwischen war in Mettmann auch längst nicht mehr nur Ferdinand Boniver mit dem Rad unterwegs. Und man schaute auch nicht mehr von oben herab aufs Fußvolk, sondern man begab sich mit kleineren Rädern quasi auf Augenhöhe. In der Lutterbecker Straße wurden offenbar schon seit der Jahrhundertwende imposante Drahtesel gebaut.

Dort hatte sich Emil Schönenburg mit seinen "Berg-Fahrradwerken" niedergelassen, um eine stetig wachsende Kundschaft zu beglücken.

Dazu gehörte der Bauer Wilhelm Pöll ebenso wie der gute Herr Klinkhofer von der Lohstraße. Ferdinand Boniver überließ sein altes Hochrad übrigens dem Radsportverein "Edelweiß". Mangels Unterstellmöglichkeiten wurde es nach Solingen weitergereicht. Während der Fabrikant auf einen offenen Benz-Zweisitzer umstieg, wurde in Mettmann weiter eifrig in die Pedale getreten. Einer, der sich damit später noch einen Namen machen sollte, war Helmut Kramer. Als 27-jähriger war er im Jahre 1933 mit seinem Drahtesel auf Weltreise gegangen. Frankreich und Spanien gehörten ebenso zu den Etappenzielen wie Gibraltar, Marokko und Algerien.

Sein Fahrrad überlebte die Tour ohne Panne - und stand daher einige Zeit zu Werbezwecken im Schaufenster des Fahrradhändlers Hugo Köster in der Poststraße in Mettmann.

(RP)
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