Hilden Armut erreicht den Mittelstand

Düsseldorf · Zunehmend stellen auch die örtlichen Wohlfahrtsverbände fest, dass immer mehr auch qualifizierte Fachkräfte ihre Hilfsangebote annehmen müssen, auch wenn die Scheu bei ihnen am größten ist.

Jeder acht Bundesbürger lebt in Armut, sagt der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung aus. Arm ist, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen nationalen Einkommens, also 718 Euro im Monat, hat. Wie viele Menschen in Hilden unter diese Einkommensgrenze fallen, wird bei der Stadt nicht erhoben. „Nicht jeder der Betroffenen beantragt Transferleistungen“, sagt Franz Weinelt, Leiter des Sozialamtes. Fakt ist, dass 2659 Menschen Arbeitslosengeld II beziehen, 446 Menschen erhalten die Grundsicherung im Alter oder wegen dauerhafter Erwerbsunfähigkeit. „Anspruch darauf hat, wer weniger als 700 Euro netto im Monat zum Leben hat“, erläutert Weinelt. Dazu kommen dann weitere 100 Personen, die sonstige soziale Hilfen bekommen. Diese 3196 Menschen entsprechen 5,7 Prozent der Hildener Bevölkerung.

20 Mahlzeiten täglich

Den individuellen Schicksalen hinter diesen nüchternen Zahlen begegen die Mitarbeiter von Sozialdienst katholischer Frauen und Männer, SPE Mühle und Kinderschutzbund bei ihrer täglichen Arbeit. Etwa 20 Menschen versorgt die Essens- und Wärmestube täglich mit einer warmen Mahlzeit, zur Befriedigung der Grundbedürfnisse können auch eine warme Dusche oder frische Kleidung gehören. Der ganzheitliche Ansatz umfasst ferner Schuldenberatung, die Vermittlung in Wohnungen und Hilfe bei drohender Zwangsräumung. Nahmen vor zehn Jahren noch viele Obdachlose die Angebote in Anspruch, hat sich der Kundenkreis heute gewandelt. „Bei uns landen inzwischen auch Leute aus der Mittelschicht“, sagt Siegfried Wagner. Diese qualifizierten Kräfte kämen dann oft zumindest für eine Weile in Zeitarbeitsfirmen unter. Sorgen bereiteten ihm die vielen ungelernten jungen Männer: Sie bleiben auf der Straße.

Der SKFM betreut mit seinen drei Schuldnerberatern immer mehr Menschen, vor denen sich immer größere Schuldenberge auftürmen. Ein Milieuproblem sei Überschuldung nicht, sagt Brigitte Hombach. „Nur diejenigen, die keine Reserven haben, stehen schneller mit dem Rücken zur Wand.“ Unter ihren Klienten seien immer mehr ehemalige Selbstständige.

Auch Roland Ebel von der Hildener Tafel kann die zunehmend auch die Mittelschicht erfassende Armut an seiner Kundenkartei ablesen. Vor drei Jahren waren zwei Drittel seiner Kunden Asylbewerber, heute sind 40 Prozent Deutsche mit dem Geburtsort Hilden. „Und wenn hier nun auch Akademiker auftauchen, mussten die eine große Hemmschwelle überwinden“, so Ebel. Meist haben Sozialarbeiter oder Schuldnerberater ihnen nachhaltig den Weg gewiesen. In den letzten Jahren ist auch die Zahl der ausgeteilten Ausweise stetig gestiegen, momentan sind es im Schnitt 128 Einkäufer.

Armut ist relativ, weiß Christa Cholewinski, Geschäftsführerin beim Kinderschutzbund. „Kinder leiden, wenn sie nicht die gleiche Kleidung tragen wie andere und wenn sie nicht die gleichen Freizeitangebote wahrnehmen können.“ Wer nicht mithalten könne, gerate in eine Außenseiterrolle. Trotz ihrer intensive Öffentlichkeitsarbeit sei es aber schwierig, an die Familien heranzukommen. Kommentar/Interview Seite B2

(RP)
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