Hilden "Die Polizei muss Opfer ernster nehmen"

Hilden · Rechtsanwältin Dr. Esma Cakir-Ceylan (36) vertritt Reyhan C. (20) aus Hilden, die kurz vor Silvester im Auftrag ihres Ex-Freundes Serhat K. (22) mit Schwefelsäure übergossen und schwer verletzt wurde. Cakir-Ceylan hat über das Thema Ehrenmorde ihre Doktorarbeit geschrieben.

 Die promovierte Rechtsanwältin Esma Cakir-Ceylan mit Kanzlei an der Münze vertritt eine Frau aus Hilden vor Gericht. Sie ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende eines Migrantinnenvereins in Neuss.

Die promovierte Rechtsanwältin Esma Cakir-Ceylan mit Kanzlei an der Münze vertritt eine Frau aus Hilden vor Gericht. Sie ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende eines Migrantinnenvereins in Neuss.

Foto: privat

Haben Sie schon mal mit einer ähnlichen Tat zu tun gehabt?

Hilden: "Die Polizei muss Opfer ernster nehmen"
Foto: Staschik, Olaf (OLA)

Cakir-Ceylan Schwefelsäure-Angriffe kenne ich aus der Türkei nicht, sie sind auch in Deutschland ganz unüblich. In Indien hingegen wird Säure häufig bei Gewalt gegen Frauen eingesetzt. In ganz vielen Ländern sind jedoch Verbrechen im Namen der Ehre an der Tagesordnung, darunter Nötigung, Körperverletzung und Geiselnahme bis hin zu Tötung oder Mord.

Hilden: "Die Polizei muss Opfer ernster nehmen"
Foto: ola

Ist der Angriff auf Reyhan C. Ihrer Meinung nach ein Ehrverbrechen?

Cakir-Ceylan Der Ex-Freund meiner Mandantin wollte nicht verstehen, dass sie keine Beziehung mehr mit ihm wollte. Das ist meistens auch die Struktur der Taten in Indien.

Reyhan C. hatte mehrfach Anzeige gegen Serhat K. erstattet. Hätte man die Tat verhindern können?

Cakir-Ceylan Gewalt an Frauen ist ein großes Problem. In Deutschland ist einer repräsentativen Studie zufolge jede vierte, in der Türkei jede dritte Frau von Gewalt betroffen. Teilweise sind die Opfer aber so eingeschüchtert, dass sie sich nicht trauen, den Rechtsweg bis zu Ende zu schreiten. Und bei Verbrechen in anderen Kulturkreisen fehlt den Polizisten teilweise die Perspektive, um sie richtig einschätzen zu können. Sehr oft werden bedrohte Frauen von Beamten nicht ernst genommen.

Warum?

Cakir-Ceylan Ehrverbrechen haben mit den Werten einer Kultur zu tun. Deutsche Polizisten denken meist deutsch und können nicht nachvollziehen, in welcher Gefahr sich eine bedrohte Frau einer anderen Kultur wirklich befindet. Das können die Opfer nur selbst. Die Gefahr richtig einzuschätzen ist aber wichtig, um nötige Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

Sollte die Polizei Ihrer Meinung nach da mehr Mitarbeiter anderer Kulturen beschäftigen?

Cakir-Ceylan Ja, auf jeden Fall. Bei Neueinstellungen achtet man auch schon darauf. Denn wenn Polizisten aus dem gleichen Kulturkreis kommen, haben sie das nötige Hintergrundwissen, um nachvollziehen zu können, was sich zwischen Täter und Opfer abspielt.

Ein Gericht hatte Serhat K. verboten, sich Reyhan C. zu nähern. Statt dessen hatte der 22-Jährige nun seinen Bekannten Alan K. mit der Tat beauftragt. Reichen die bestehenden Gesetze aus, um Frauen vor gewalttätigen (Ex-)Partnern zu schützen?

Cakir-Ceylan Das Gewaltschutzgesetz wurde vor zehn Jahren erlassen. Es ist sehr verbesserungsbedürftig. Denn in der Praxis hat sich gezeigt, dass es zu viele Lücken für die Täter lässt, so dass die Frauen immer noch nicht ausreichend geschützt sind.

Könnten Politiker, auch Lokalpolitiker, die Situation für Frauen wie Reyhan C. verbessern?

Cakir-Ceylan Natürlich! Politiker sollten das Thema endlich ernst nehmen. Wenn es um häusliche Gewalt geht, hören viele lieber weg, dabei kommt das nicht nur bei türkeistämmigen Familien vor. Würden sich Politiker wirklich darum bemühen, bedrohten Frauen zu helfen, hätten wir schon seit Jahrzehnten Gesetze, die Frauen — auch deutsche — besser schützen. Doch das ist nicht erfolgt.

Nun ist die Gesetzgebung ja eher Sache der Bundespolitik . . .

Cakir-Ceylan Aber Politik beginnt im Kleinen. Auch Lokalpolitiker haben die Möglichkeit, die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren, indem sie es immer wieder ansprechen und sich damit auseinandersetzen.

Sollte man stärker in muslimische Vereine gehen, um dort ein anderes — westliches — Werteverständnis der Frau herbeizuführen?

Cakir-Ceylan Das kann man machen, aber man erreicht damit nur einen Teil der türkeistämmigen Bevölkerung. Denn es gibt viele türkische Zuwanderer, die in keine Moschee gehen und die nicht muslimisch sind, die aber trotzdem ein traditionelles Werteverständnis haben. Besser wäre es, auch in andere Vereine wie Kultur- und Elternvereine zu gehen. Väter und Mütter sind es ja, die die Werte an ihre Kinder weitergeben. Daher sollte man bei der Erziehung ansetzen, um Verbrechen im Namen der Ehre zu verhindern. Übrigens werden Ehrenmorde auch in der Türkei mit schwerster Strafe geahndet. Die dortige Rechtsordnung ist dieselbe wie in Deutschland. Es kann also niemand sagen, dort herrsche ein anderes Rechtsverständnis.

SUSANNE GENATH FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP/top)
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