Hilden Flucht vor IS-Terror führt nach Hilden

Hilden · Sieben Kurden wollen jetzt in ein neues Leben starten. Die St. Jacobus-Gemeinde unterstützt sie. Doch sie haben Angst.

 Nach dramatischer Flucht durften die syrischen Kurden nach Deutschland ausreisen und leben nun in Hilden. Rechts Pfarrer Ulrich Hennes.

Nach dramatischer Flucht durften die syrischen Kurden nach Deutschland ausreisen und leben nun in Hilden. Rechts Pfarrer Ulrich Hennes.

Foto: Staschik

Diese Geschichte hat zwei Seiten. Die gute zuerst: Sieben Kurden, Großeltern, Eltern und drei Kinder, aus der nordost-syrischen Stadt Qamischli leben seit knapp drei Wochen in Hilden. Sie sind der permanenten Lebensgefahr entronnen. Den Schießereien des nachts. Der Angst, die kleinen Töchter könnten entführt oder die Familie durch Terroristen der IS ausgelöscht werden. Mitglieder der Gemeinde St. Jacobus haben für die Flüchtlinge gebürgt. Die Initiative "Hilfe für syrische Flüchtlinge" organisierte die Reise und half bei den Formalitäten.

"Ja, es ist ein Glück, in Hilden zu sein", sagen sie und wirken dennoch angespannt. Im deutschen Fernsehen haben sie die Berichte über hier lebende Salafisten gesehen, haben übersetzt bekommen, dass sich in Deutschland lebende Jugendliche radikalisieren und dorthin ziehen und kämpfen, wo sie herkommen. Deshalb bitten sie darum, ihre Namen nicht zu nennen. Und das ist die andere Seite dieser Geschichte: Die Angst ist geblieben.

Warum dann das Gespräch mit der RP? Sie möchten sich bedanken. "Bisher waren hier alle sehr freundlich zu uns, haben uns aufgenommen und geholfen", sagt der 73 Jahre alte Großvater der Familie. Er sitzt aufrecht in Anzug, Oberhemd und mit gebundener Krawatte auf dem Sofa. Ob im Rathaus in Hilden oder bei der Ausländerbehörde des Kreises Mettmann: kein falscher Zungenschlag, kein schiefer Ton. Für Menschen, die sich vortasten in eine für sie völlig fremde Welt, ist das eine neue Erfahrung.

Als Nächstes brauchen sie eine Wohnung. Denn fürs Erste sind sie bei dem seit acht Jahren in Hilden lebenden Sohn, seiner Frau und deren kleinem Sohn eingezogen. Zehn Menschen teilen sich 78 Quadratmeter. Das kann nur eine Übergangslösung sein. "Wir von der Gemeinde St. Jacobus werden nicht nur bei der Wohnungssuche helfen, sondern die Familie auch sonst beim Einleben in Deutschland unterstützen", sagt Pfarrer Ulrich Hennes. Dass der Kopf der Flüchtlingshilfe, Peter Schnatenberg, als ehemaliger Ratsherr und bei noch laufendem Steuer-Verfahren eine schillernde Persönlichkeit ist, stört Hennes nicht: "Herr Schnatenberg hilft uns sehr - als Koordinator."

Es seien noch zwei Familien unterwegs nach Hilden - syrische Christen auf der Flucht. Die einen haben es schon bis nach Beirut geschafft, zur nächstgelegenen deutschen Botschaft. Dort müssen sie sich zu einem feststehenden Termin melden, die Pässe und notwendigen Unterlagen vorlegen, um in das deutsche Flüchtlingskontingent aufgenommen zu werden. Die bürokratischen Hürden sind hoch: Wer den Termin verpasst, bekommt keinen zweiten. Es muss ein Angehöriger ersten Grades bereits seit langem in Deutschland leben. Und jemand muss für Verpflegung, Miete und Unterhalt für zwei Jahre bürgen: 15 000 Euro sind das für einen Erwachsenen. Aus den Reihen der Gemeinde St. Jacobus sind schon fünf Bürgen für zwölf Flüchtlinge gefunden. Sie stehen für 180 000 Euro gerade. Pfarrer Hennes wirbt: "Um helfen zu können, ist uns jede Spende willkommen."

Der nächste Schritt für die bereits in Hilden angekommenen Kurden: die deutsche Sprache zu erlernen. Eine pensionierte Lehrerin will sie unterrichten. Schwerer, als sich die neuen Wörter und Laute zu merken, wird es werden, die alten Bilder aus dem Kopf zu bekommen. Der Weg nach Hilden führte per Reisebus über Damaskus nach Beirut. Zur Tarnung gegenüber den IS-Terroristen an den Straßenposten trugen die Frauen Burka und alle hatten bestimmte Koranstellen auswendig gelernt. IS-Milizen zwingen die ihnen Verdächtigen dazu, diese auswendig aufzusagen. Als ihr zweiter Sohn vor Aufregung über die Männer mit den Kalaschnikows die Verse nicht herausbrachte, wurde er abgeführt. Der Weg nach Hilden schien schon zu Ende. Doch vor dem Anführer des Kontrollpostens habe er den Koran dann zitieren können. Nur deshalb durfte er zurück in den Bus.

Die Waffen für die Peschmerga sind gepackt
10 Bilder

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Foto: ap

Die Großmutter freut sich darüber, ihren in Deutschland geborenen Enkel in den Armen zu halten. Damit hatte die 75-Jährige nicht mehr gerechnet. Die Kinder lieben es, draußen spielen zu dürfen und freuen sich auf die Schule. Im 200 000 Einwohner zählenden Qamischli durften sie nicht allein aus dem Haus; in ihrer Schule lagerten Flüchtlinge. Wenn der Krieg zu Ende ist, möchte der Großvater auf jeden Fall zurück in seinen Geburtsort Qamischli, möchte sehen, was aus seinen Freunden und aus dem Haus geworden ist. Wenn er das den anderen in der Familie erzählt, lachen sie und nehmen ihn in den Arm. Im Moment ist er der Einzige, der daran glaubt.

(dne)
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