Hilden Fotos, die vom Ersten Weltkrieg erzählen

Hilden · Auf den Aufruf der RP hat Fritz Felder dem Hildener Stadtarchiv Bilder von seinem Großvater zur Verfügung gestellt.

 RP-Leser Fritz Felder mit einem Bild seines Großvaters und eines Kameraden.

RP-Leser Fritz Felder mit einem Bild seines Großvaters und eines Kameraden.

Foto: Staschik, Olaf (OLA)

Das historische Foto in seiner Hand zeigt Fritz Felder eigentlich einen fremden Mann. Von den Kriegserfahrungen seines Großvaters, der 1943 an einer Lungenentzündung starb, weiß er nichts. Abgebildet ist ein junger Mann in Uniform, dessen Infanterie-Regiment in Ostrowo (heutiges Polen) stationiert war und von dort zu Einsätzen hauptsächlich nach Frankreich geschickt wurde.

 Das Regiment des Großvaters war im heute polnischen Ostrowo stationiert. Von dort aus ging's zu Schlachten nach Frankreich und Belgien.

Das Regiment des Großvaters war im heute polnischen Ostrowo stationiert. Von dort aus ging's zu Schlachten nach Frankreich und Belgien.

Foto: Olaf Staschik

Doch was er dort erlebte, hat Fritz Felder (75) nicht erfahren. "Es wurde nie darüber geredet", erinnert sich der Hildener. Und als er ins Alter kam, um Fragen zu stellen, da war sein Großvater längst tot. "Als er starb, war ich fünf Jahre alt."

So ist die Geschichte, die zu diesem Foto gehört, recht kurz — und doch bezeichnend für die damalige Zeit. Denn ehemalige Soldaten, die die Schrecken des Ersten Weltkriegs überlebten, haben später nur selten davon erzählt, weiß Dr. Wolfgang Antweiler, Leiter des Hildener Stadtarchivs: "Viele haben nie darüber gesprochen. Kinder und Ehefrauen haben nicht gewusst, was auf dem Feld wirklich passiert ist."

Dabei werden die Kriegserlebnisse damals nicht weniger traumatisch gewesen sein als heute. "Im Ersten Weltkrieg kam es zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte zu einem maschinellen Töten. Zum ersten Mal wurde gegen Soldaten Giftgas eingesetzt, zum ersten Mal gab es Panzer und Kampfflugzeuge.

Das waren ganz andere Dimensionen als 1870/71 im Krieg davor", erläutert Antweiler. Und doch wäre die Leidensgeschichte der Hildener Bevölkerung nur unvollständig wiedergegeben, wenn sich die Berichterstattung allein auf die Schlachtfelder und Schützengräben konzentrierte. Denn während sich der Großvater von Fritz Felder, der ebenfalls Fritz Felder hieß, von seiner Familie trennen musste und als Soldat Todesängste ausstand, litten seine Frau und Kinder in der Heimat Hunger.

"Schon kurz nach Kriegsbeginn setzte der Mangel ein", berichtet Antweiler, während er in den Kopien alter Zeitungsberichte und Anzeigen blättert. Bereits am 11. August 1914 wurden in Hilden so genannte "unentbehrliche Lebensmittel" wie Milch, Mehl, Salz, Zucker, Fleisch, Schmalz und Brot mit Höchstpreisen belegt, um Wucher vorzubeugen. Später wurden Lebensmittelkarten ausgegeben, um ihren Bezug zu rationieren.

Auch die Großmutter von Fritz Felder, Wilhelmine Felder, wird solche Lebensmittelkarten besessen haben. Sie musste ihren Sohn Fritz, geboren am 23. Dezember 1913 — den späteren Vater des heute 75-Jährigen — und ihre etwas ältere Tochter Frieda allein durchbringen, denn der Ernährer war an der Front. Viele Hildener nutzten freie Flächen, um selbst Obst und Gemüse anzubauen. "1916 wurde der Fußballplatz auf dem Gelände des Schulzentrums Holterhöfchen zum Kartoffelacker umgepflügt", erzählt der Stadtarchivar. Suppenküchen schossen wie die Pilze aus dem Boden und boten "einen Liter gute Suppe" für 15 Pfennig an.

Zugleich kündeten Todesanzeigen von den ersten Opfern an der Front. Der "Dragoner Brückmann, Sohn des pensionierten Bahnbeamten Anton Brückmann", starb am 14. August, als er in Mühlhausen/Elsaß auf Patrouille war. Er war der erste Hildener Soldat, der im Ersten Weltkrieg fiel. Der zweite war Friedrich Ambrosius, der am 31. August "im Kampf für Kaiser und Vaterland den Heldentod" starb, wie es in der Anzeige des Rheinischen Volksblattes hieß. Diese heroisch-blumige Sprache sollte sich jedoch bald ändern. Mit jeder neuen Todesanzeige vergrößerte sich die Abstumpfung, vermutet Antweiler, und irgendwann wurde die Sprache der Todesanzeigen "nüchterner". 700 Hildener, so schätzt Antweiler, fielen im Ersten Weltkrieg. Hilden hatte damals weniger als 20 000 Einwohner.

Eher freudlos war auch das kulturelle Angebot für Wilhelmine Felder und die anderen Hildener Bürger: Karnevalsveranstaltungen, ja selbst der Verkauf von Luftschlangen und Konfetti wurden 1915 verboten, und im Hildener Theater war das Kriegsdrama "Das Vaterland ruft" in drei Akten zu sehen. Doch auch nach dem Ende des Weltkriegs im November 1918 kehrte in Hilden keine Normalität ein. Englische Soldaten patrouillierten durch die Straßen, die Inflation setzte ein, und bis Oktober 1921 war in Hilden ein Lebensmittelamt im Dienst — für Stadtarchivar Antweiler ein Hinweis darauf, "dass es auch nach Ende des Krieges nicht automatisch wieder ganz viele Lebensmittel gab".

Fritz Felder weiß von diesen Ereignissen nur aus Geschichtsbüchern und der Zeitung. Gerne hat er auf den Aufruf der Rheinischen Post hin die Fotos dem Stadtarchiv in Kopie zur Verfügung gestellt. Nachdenklich betrachtet er die Originale, die seinen Großvater und einen ihm unbekannten Kameraden zeigen. "Da war er noch jung", sagt er.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort