Haan "Japanern jetzt mit einer Luftbrücke helfen"

Düsseldorf · Interview mit Dr. med. Helmut Weber, der vor 25 Jahren in NRW die Schutzmaßnahmen nach der Tschernobyl-Katastrophe initiierte.

Am 26. April jährt sich das Reaktorunglück von Tschernobyl zum 25. Mal — und erhält durch die Ereignisse in Japan dramatische Aktualität. Dr. med. Helmut Weber (69) war 1986 als Fachbeamter im NRW-Gesundheitsministerium für medizinische Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor einem Strahlenrisiko zuständig. Mit dem Haaner Ministerialrat a.D. sprach RP-Redakteurin Stefanie Mergehenn.

Herr Dr. Weber, Sie fordern eine Luftbrücke für die von der radioaktiven Strahlung besonders bedrohten Japaner. Warum?

Weber Weil es mich einfach zornig macht, dass im sicheren Deutschland bereits Jod-Tabletten gehortet worden sein sollen, statt sich um die Menschen zu kümmern, die tatsächlich in höchster Gefahr schweben. Ich bin auch entsetzt darüber, dass die Politik nicht reagiert.

Zumindest hat die Kanzlerin sieben alte Reaktoren abschalten lassen...

Weber Nach der Katastrophe von Japan scheint sowohl die Regierungskoalition als auch die Opposition mit Blick auf anstehende Landtagswahlen mit der Diskussion über den vorübergehenden Teilausstieg aus der Kernenergie beschäftigt zu sein, womit sie sich schon viel eher hätten befassen sollen. Aktuell gilt es aber, der notleidenden Bevölkerung zu helfen, die primär vom Strahlenrisiko, aber auch von den Folgen der Erdbeben und des Tsunami — Obdachlosigkeit, Seuchengefahr, Trinkwasser- und Lebensmittelmangel — bedroht ist.

Was ist Ihrer Ansicht nach zu tun?

Weber Als verantwortlicher Politiker und gelernter Speditionskaufmann hätte ich schon längst das Logistik-Konzept für eine großflächige Evakuierung besonders bedrohter Bevölkerungsgruppen in der Schublade. Bundeskanzlerin Merkel sollte der japanischen Regierung unverzüglich das Angebot einer Luftbrücke unterbreiten. Bei Akzeptanz sollte die Bundeswehr mit Unterstützung der zivilen Airlines umgehend damit beginnen, Jodtabletten für die kontaminierten Gebiete und Grundnahrungsmittel einzufliegen und besonders Gefährdete, vor allem Schwangere, Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern — auch als Vorbild für andere Länder — nach Deutschland auszufliegen.

Und wohin mit diesen Menschen?

Weber Meine Eltern, meine drei Geschwister, und ich haben nach dem Krieg jahrelang zwei kleine Zimmer auf einem Bauernhof bewohnt. Wir waren damals dankbar, Care-Pakete aus den USA zu bekommen. Es sollte selbstverständlich sein, in der Not zu helfen. In unserem Haus könnten beispielsweise mehrere Personen unterkommen, bis die atomare Gefahr vorüber ist.

Sie waren als Arbeits-, Sozial- und Umweltmediziner für den Bevölkerungsschutz nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl tätig. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie jetzt die Bilder aus Fukushima sehen?

Weber (lacht bitter) Ich sehe heute die gleiche Hilflosigkeit wie 1986. Beispielsweise sagte ein Bekannter damals vorwurfsvoll: "Machen Sie nicht so viel Wind", als ich ihn auf die mögliche Bedrohung durch erhöhte radioaktive Ergebnisse bei Messungen in Schweden aufmerksam machte. Wir haben damals einen Vorsorgewert von 60 Becquerel für die Milch festgelegt, um vor allem Kinder und Schwangere zu schützen. Gestern gab es bereits Meldungen von kontaminiertem Trinkwasser in Japan. Ich denke, wir Deutschen sind bereit, den Japanern zu helfen. Nur der offizielle Anstoß für Hilfsangebote muss von der Regierung kommen.

(RP)
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