Hilden Jugendliche geben Opfern ein Gesicht

Hilden · Ein Sternmarsch zum Gedenkstein im Stadtpark erinnerte gestern an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938.

Eigentlich verfügte Josef Schmitz über eine deutsche Vorzeige-Biographie: Für seinen Einsatz als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg war er ausgezeichnet worden. Und mit dem eigenen Warenhaus an der Hildener Mittelstraße hatte er sich eine bürgerliche Existenz aufgebaut. Doch auch diese Lebensleistung konnte ihn und seine Ehefrau Helene nicht vor dem Rassenwahn der Nationalsozialisten bewahren: 1942 deportiert, wurde das jüdische Ehepaar vermutlich in Minsk ermordet.

Es ist eines von vielen Schicksalen, an das Schüler gestern Nachmittag erinnerten: Zum Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 zogen knapp 100 Jugendliche und erwachsene Begleiter in einem Sternmarsch in den Stadtpark. Halt machten die insgesamt sieben Gruppen dabei an den Stolpersteinen, die an die Opfer des Dritten Reiches erinnern. Denen widmeten die jungen Menschen - darunter Schüler von Helmholtz-Gymnasium und Theresienschule sowie Mitglieder des Jugendparlaments - kurze Texte oder Gedichte, legten Rosen nieder und zündeten Kerzen an.

"Es berührt einen, zu wissen, was mit diesen Menschen passiert ist, nur weil sie eine andere Religion hatten", sagte die 15-jährige Tatjana. Sie gehört seit einem Jahr dem Jugendparlament an. Ihr Weg begann gestern an der Kirchhofstraße - am Gedenkstein vor dem ehemaligen Wohnhaus von Paul Levin, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Wenig später erinnerte Mitstreiter Leon (16), bereits seit drei Jahren "Abgeordneter" in der Hildener Jugendvertretung, an das Schicksal von Betty Schweriner, die einst an der Mittelstraße gelebt hatte. Für ihren Stolperstein hat das Jugendparlament eine Patenschaft übernommen. "Wir finden es wichtig, uns der Bedeutung dieses Tages bewusst zu sein, auch wenn der Kreis noch so klein sein mag", erklärte der Schüler. Initiiert von der katholischen und der evangelischen Kirchengemeinde, dem Arbeitskreis Stolpersteine, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, und der Stadt trafen sich die Teilnehmer des Sternmarsches schließlich am Gedenkstein im Stadtpark, an dem Bürgermeisterin Birgit Alkenings gemeinsam mit ihrem Stellvertreter Norbert Schreier einen Kranz niederlegte. Bei der Pogromnacht 1938 wurden damals im gesamten Deutschen Reich tausende Geschäfte, Wohnhäuser und Synagogen zerstört und geschätzt rund 1400 Menschen ermordet. Sie markierte den Übergang von der Diskriminierung zur systematischen Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen durch das NS-Regime. In Hilden mit seinen damals 22 000 Einwohnern seien die Folgen der Pogrome schlimmer als in anderen Städten gewesen, betonte die Bürgermeisterin: Vier Bürger wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ermordet, einer erlag später seinen Verletzungen und zwei Opfer der organisierten Menschenjagd begingen Selbstmord. "Wir wollen gedenken, weil wir für Werte stehen, die unsere Gesellschaft zusammenhalten", bekräftigte Alkenings.

(RP)
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