Hilden Mit Mut gegen das Stigma anstrampeln

Hilden · Die Radler wollen das Thema Depression an die Öffentlichkeit holen, informieren und ins Gespräch kommen.

 Die "Mut-Tour" macht auf dem Weg nach Aachen Station in Hilden. Sebastian Burger (2. von rechts) führt die Fahrt der drei Tandems an, die gestern auf dem Ellen-Wiederhold-Platz Rast machten.

Die "Mut-Tour" macht auf dem Weg nach Aachen Station in Hilden. Sebastian Burger (2. von rechts) führt die Fahrt der drei Tandems an, die gestern auf dem Ellen-Wiederhold-Platz Rast machten.

Foto: Olaf Staschik

Gegenseitig machen sie sich Mut und strampeln gemeinsam gegen ein gesellschaftliches Stigma an. Mit drei Tandems sind sie quer durch Deutschland unterwegs, um das Thema Depression ins Rollen zu bringen. "Denn in Deutschland kann ich zum Physiotherapeuten gehen, nicht aber zum Psychotherapeuten", sagt Sebastian Burger. Er hat die Tour nach eigenen Krisen-Erfahrungen organisiert. "Als ich 2006 und 2007 mehrere Winterblues-Phasen hatte, hat mir auf dem Weg aus dieser depressiven Stimmung eine Wanderung an der Weser geholfen. Die Natur, die Bewegung und der strukturierte Tagesablauf waren dabei entscheidende Faktoren. Bei der Tandem-Tour kommt noch die Gemeinschaft dazu", berichtet er während der Rast auf dem Ellen-Wiederhold-Platz.

Zusammen etwas zu leisten, sich gegenseitig auszutauschen und mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen, das ist für Eugen Biniasz-Schreen die Motivation mitzufahren. "Es ist ein Tragen und Getragen- werden und das Gefühl, nicht allein zu sein. Denn in der Depression ziehen sich die Betroffen immer mehr zurück, weil sie ganz mit sich selbst beschäftigt sind." Zweimal ist er selbst schon in diese eigene Welt versunken. "Das erste Mal haben Medikamente noch geholfen, beim zweiten Mal bin ich in die Klinik gegangen", berichtet er.

Seinen Weg ins Leben hat er zurückgefunden, ebenso wie Kathrin Schulz, die nach einer Therapie ihren Alltag wieder meistert. Sie fährt gegen die Vorurteile an. "Mir geht es darum zu zeigen, dass es Behandlungsmöglichkeiten gibt, die zu einem normalen Tagesablauf führen." Denn die Depression betreffe statistisch jeden Zehnten, doch kaum jemand traue sich, darüber zu reden. Psychische Erkrankungen seien ein Tabu. "Für viele ist das immer noch mit Irre-Sein verbunden. Es ist gesellschaftlich nicht akzeptiert, nicht leistungsfähig zu sein", betont Patrick Brenner. Gleichzeitig fehle die Infrastruktur, um in der Krise schnell Hilfe zu bekommen. "Die Therapeuten haben in der Regel Wartezeiten von bis zu sechs Monaten. Es ist sehr traurig, dass diese Infrastruktur fehlt und wir möchten dagegen ein Zeichen setzen", sagt Sebastian Burger. Ihm ist es wichtig, mit seiner Tour zu beweisen, dass Menschen mit Depressions-Erfahrungen durchaus etwas auf die Kette bekommen.

Ein Therapie-Ersatz sei die Fahrt allerdings nicht. "In der Depression wäre ich dazu auch gar nicht in der Lage gewesen. Doch sie hilft, um die nächste Phase zu verhindern", betont Kathrin Schulz. Für sie ist es eine Möglichkeit der Selbsthilfe und gleichzeitig die Chance, das Thema ins Rollen zu bringen. Während der Vier-Tages-Etappen legen die Teilnehmer täglich rund 60 Kilometer zurück. Das nächste Ziel ist Aachen, Anfang Juni steigen die Radler in Luxemburg erneut in den Sattel — bis die Rundfahrt schließlich ihr Finale in Flensburg findet.

(domi)
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