Serie Sammeln Aus Leidenschaft (6) Tölles haben 500 Waagen aus aller Welt

Hilden · Mit einer verrosteten Tafelwaage im Keller einer Mietwohnung fing es an. Danach ließen Sigrid und Klaus Tölle auf ihren Reisen keinen Trödelmarkt mehr aus - bis alle Wände und Regale im Haus vollgestellt waren.

 "Ich brauche anderthalb Tage, um einen Raum zu putzen": Sigrid und Klaus Tölle in ihrem Haus.

"Ich brauche anderthalb Tage, um einen Raum zu putzen": Sigrid und Klaus Tölle in ihrem Haus.

Foto: Olaf Staschik

Sigrid und Klaus Tölle haben ein buchstäblich "schwer wiegendes" Hobby: Sie sammeln Maße und Gewichte aus aller Welt. Das Reihenhaus des Rentnerehepaars ist vom Keller bis zum Dach voll mit Waagen, Maßen und Gewichten. "Knapp 500 Waagen haben wir, dazu ein paar tausend Gewichte, einige Maße und ein paar Rechenmaschinen", referiert Klaus Tölle, und blättert in seinen Excel-Tabellen. Penibel hat der 72-Jährige aufgelistet, was seine Frau und er "in 30 Jahren" zusammengetragen haben.

Die erste Waage war "eine ganz normale Tafelwaage. Ein Rosthaufen im Keller unserer Dortmunder Mietwohnung. Der Vormieter weigerte sich, sie zu entsorgen, weil sie schon dort gestanden hatte, als er einzog. Ich habe die dann vom Rost befreit und frisch lackiert", erinnert sich Klaus Tölle. Das war etwa 1970. Damals musste der Karstadt-Manager, der bis zu 16 Filialen unter sich hatte, mit Frau und Kind ständig umziehen. Auch Dortmund war nur eine kurze Episode.

Etwa 1980 kam eine englische Waage dazu, "ein Geschenk für meine Frau" - und dann ging's los mit der Sammelleidenschaft - bei beiden: Kein Urlaub, in dem nicht auch die Trödelmärkte des Reiselandes abgeklappert wurden; keine Städtetour, die ohne Neuerwerbungen endete. 30 Jahre ging das so, bis auch die letzte Ecke im Hildener Reihenhaus zugestellt war. Gesammelt werden - unter anderem - Brief- und Kornwaagen, Münzprüfer und Opiumwaagen, Gold- und Wollgewichte, Winkelfederwaagen und jede Menge Maße: Für Milch und Rosinen, Whisky und Fische zum Beispiel. Die Gewichte sind aus Metall, Porzellan oder Glas, die Sammelobjekte stammen aus der ganzen Welt und sind zum Teil 100 Jahre und älter. Tölles haben ihre Sammlung beinahe ohne Zuhilfenahme des Internets zusammengetragen, "den Blick immer nach unten gerichtet", wie Klaus grinsend anmerkt. "Waagen und Gewichte wiegen ja etwas. Die stellt man nicht oben ins Regal, sondern eher auf den Boden der Ausstellungsfläche." Dort fanden sie auch auf einem Basar in Istanbul eine Waage, die ihnen gefiel. Das gute Stück landete im Eigenheim in Hilden.

"Monate später stellte sich bei einem Sammlertreffen heraus, dass ein uns bekannter Händler aus Osnabrück genau diese Waage für sich auserkoren hatte, sich aber mit dem Verkäufer nicht einigen konnte. Als er später wiederkam, hatte er das Nachsehen", berichtet Sigrid Tölle. - "Was habe ich schwer getragen im Ausland", erinnert sich der eher klein geratene Ehemann. Schließlich habe man Reisen per Bus oder Bahn denen mit dem Flugzeug vorgezogen. "Da wird für schweres Gepäck kein Aufpreis berechnet." Bei Bahnreisen wurden die Neuerwerbungen in Gepäckfächern zwischengelagert, bei Busreisen auf der Ladefläche.

Im Laufe der Sammeljahre hat sich das Ehepaar viel Fachwissen rund um historische Maße und Gewichte angeeignet. Beide traten einem Verein bei, den ein anderer Hildener gegründet hat: Er heißt "Maß und Gewicht, Verein für Metrologie e.V." und wurde bereits 1967 in Köln gegründet. Günter Unshelm (75), Vereinsgründer und pensionierter Leiter der Kreditabteilung der damaligen Sparkasse Hilden-Langenfeld, kann sich an Tölles erinnern: "Die haben Handelswaagen und -gewichte gesammelt. Sie hatten die Mitgliedsnummer 40, da müssen die schon früh dabei gewesen sein."

Auch Hans-Jürgen Mittelbach, Kassierer des Vereins und Hagener, hat zumindest vom Sammlerehepaar in Hilden gehört. In den letzten Jahren habe sich viel verändert in der Sammlerszene: "Die Zahl der Mitglieder ist von 360 auf 300 gesunken und die Preise für Maße und Gewichte ebenfalls. Nur für Außergewöhnliches wird noch viel gezahlt."

Herr Tölle und seine Frau sind inzwischen jedoch nicht mehr im Verein: Die Gesundheit spielt nicht mehr mit.

In ihren aktiven Sammel-Zeiten wurde er zum geschickten Restaurator alter verrosteter Waagen, sie zur Expertin fürs Staubputzen, obwohl beide den Putzlappen schwingen: "Ich brauche anderthalb Tage, um einen Raum zu putzen", berichtet Sigrid Tölle. "Um die Waagen richtig sauber zu bekommen, muss man mit dem Pinsel drangehen." Als die 73-Jährige länger krank war, wurde kurzerhand Folie über einige Regale und Stellflächen im ersten Stock der Wohnung gelegt. "Irgendwann kommt da Glas vor", beteuern beide. Was aus der Sammlung wird, wenn sie nicht mehr leben, ist auch schon geregelt "Unsere Tochter will hier einziehen und alles übernehmen. Sie selbst sammelt aber Hüte und Zylinder."

(RP)
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