Hilden Tschüss, Ade: Das war der Reichshof

Hilden · Festsaal, Soldatenkasino, Mädchenschule: Die katholische Gemeinde räumt das imposante Gebäude bis 1. Februar.

Rückblick: Der Reichshof wird abgerissen
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Die letzten Tage des alten Reichshofes an der Hochdahler Straße sind gezählt. Die katholische Kirchengemeinde räumt — nach mehr als 100 Jahren — ihr imposantes Domizil bis Ende des Monats. Rund 380 Hildener nutzten ein "Kehraus" am Wochenende, um sich — gegen eine kleine Spende für das neue Pfarrzentrum — ein Teil des Inventars zu sichern. Eine davon war SPD-Spitzenkandidatin Birgit Alkenings: "Ich bin zuletzt als Kind im Reichshofsaal gewesen und wollte mich noch einmal umschauen. Es ist schon alles sehr verfallen."

In einer Wohnung fanden sich noch wahre historische Schätze: Dutzende historische Uniformen und Tanzkostüme der Großen Hildener Karnevalsgesellschaft. Im Auftrag ihres Lebensgefährten, der ein privates Karnevalsmuseum hat, erstand Alkenings eine Uniform und ein Tanzmariechen-Kostüm. Auch die katholische Gemeinde hat sich einige Erinnerungsstücke gesichert. Einige Sandstein-Ornamente der Fassade sollen erhalten und in das neue Pfarrzentrum integriert werden.

Als letzter Nutzer zieht ab heute das Pastoralbüro an die Mittelstraße 19 ins erste Obergeschoss über die Hansa-Apotheke um. Deshalb ist das Pfarrbüro geschlossen und erst ab 27. Januar wieder geöffne, teilt der Kirchenvorstand mit Der Abbruch des alten Reichshofes soll Anfang Februar beginnen, bestätigte gestern Heinz Hanen, Geschäftsführer des Investors Evohaus: "Allerdings steht das Unternehmen noch nicht fest." Deshalb könne man noch keine Angaben über die Organisation des Baustellenverkehrs machen. Der Abriss werde etwa drei Monate dauern. Im Anschluss soll mit dem Neubau begonnen werden.

Festsaal, Kneipe, Soldatenkasino und Mädchenrealschule: Der Reichshof hat eine bewegte Geschichte. Erbaut wurde das Gemeindehaus der katholischen Jacobus-Gemeinde 1911 von dem Kaiserswerther Architekten Wilhelm Sültenfuß (1844-1924). Der große Festsaal mit 330 Plätzen wurde bei der Einweihung als "Kleinod" und "kultureller Mittelpunkt" Hildens gefeiert. Schützen, Turner, die Feuerwehr und auch die Karnevalisten haben hier viele Jahre rauschende Feste gefeiert. D

er Saal profitierte von seinen riesigen Bogenfenstern, die ihn mit natürlichem Licht erhellten. 1958 wurden sie mit Glasbausteinen zugemauert — eine architektonische Sünde, die prachtvolle Anmutung war dahin. Gleichwohl fanden hinter Glasbausteinen noch Großveranstaltungen wie die Deutsche Billard-Meisterschaft (1968) oder 1982 ein Konzert der Neuen-Deutsche-Welle-Band "Trio" (größter Hit "Da-Da-Da") mit 600 Zuhörern statt. 1989 musste der Saal wegen verschiedener bautechnischer Mängel geschlossen werden.

Die Schankwirtschaft im Erdgeschoss des Reichshofes (die Bezeichnung taucht ab 1915 auf) hatte anfangs Gastzimmer und zur Hofseite hin einen Pferdestall mit Remise. Erhalten ist noch eine Speisekarte aus dem Jahr 1927. Inhaber Heinz Klein schenkte damals "IaWicküler-Pils" und Hannen Alt-Bier, jeweils für 30 Pfennige, das Glas aus. Genau so viel kostete ein Bismarck-Hering. Tagessuppe, Schmorbraten mit Schwarzwurzeln und Dessert gab es für 1,50 Mark. Als am 28. Dezember 1941 30 Minuten Fliegeralarm war, gingen die Gäste nicht in den Luftschutzkeller, sondern tranken seelenruhig weiter, so eine Anekdote.

945 macht die zweite britische Infanterie-Division den Reichshof für eine Zeit lang zu ihrem Kasino ("Blue and White Club"). Später versuchten dort verschieden Wirte mit einer Kneipe, einer Fischbratküche und einer Stehbierhalle ihr Glück. Wo 1990 der "Irish Pub" eröffnete, hatte zuvor Rolf Hallauer die "Blende" betrieben — mit "Single-Abenden" ("Ein Freidrink für jedes Mädel") und handgeschriebenen Grüßen auf dem Monatsprogramm ("Auch im August, dass weiß ein jeder, beträufeln wir mit Frankenheim die Leber").

Etwa fünf Jahre lang beherbergte der Reichshof auch die Theresienschule. Sie ging aus der 1919 gegründeten Familienschule hervor, wurde 1926 vom Orden der Armen Franziskanerinnen von Olpe geleitet und hieß ab 1930 Theresienschule. 1969 übernahm das Erzbistum Köln die Trägerschaft der Mädchenrealschule, die 1974 vom Reichshof in einen Neubau an der Gerresheimer Straße 53 umzog.

(RP)
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