Hilden Wie Michael Schwerk aus der DDR flüchtete

Hilden · Mit einem Festakt gedachte die CDU im alten Ratssaal des Bürgerhauses Mittelstraße 40 an den Fall der Mauer und die wiedergewonnene Einheit der Deutschen vor 25 Jahren.

"Als Kind nimmt man eine sich anbahnende Diktatur nicht wirklich wahr." Michael Schwerk war zehn Jahre alt, als russische Panzer durch Pirna ratterten. Es dauerte noch 12 Jahre, bis für ihn 1966 die Nacht der Nächte anbrach. Beim Empfang zum Tag der Deutschen Einheit von Mittelstandsvereinigung und CDU-Stadtverband ließ Michael Schwerk die Erinnerung an diese Nacht noch einmal lebendig werden: "Irgendwann wurde auch uns Kindern klar, dass da was nicht stimmt. Schulkameraden verschwanden, der Zahnarzt war plötzlich nicht mehr da." Bis zum Jahr 1961 verließen die Menschen scharenweise die Deutsche Demokratische Republik. Michael Schwerk und seine Familie sahen sich über Nacht eingepfercht in einem System, das immer mehr Druck auf seine Bürger aufbaute. Die Mauer, die grüne Grenze, extreme Kontrollen - eine Flucht schien unmöglich. "In mir brodelte es", so Michael Schwerk, "aber ich musste mit den Wölfen heulen." Es brodelte bis zum 2. November 1966. "Ich verabschiedete mich zu Hause, verstaute meinen Koffer in einem Schließfach in Leipzig und machte mich auf nach Berlin." Michael Schwerk hatte niemand in seine Flucht-Pläne eingeweiht.

In Ost-Berlin stieg er in eine S-Bahn, die nah an den Grenzübergang Bornholmer Straße heranführte. Er zog die Notbremse. Noch bevor die Bahn zum Stehen kommt, sprang er hinaus. "Unmittelbar neben der Trasse löste ich einen Signaldraht aus. Das Feuerwerk um mich herum nahm ich kaum wahr. Ich stürmte nach vorn, über einen 1,50 Meter hohen Zaun und lande in einem 4,80 Meter tiefen Trog."

Am Himmel explodierten Leuchtraketen. "Ich erwartete die Gewehrsalve, die mich tötet." Doch eine glückliche Fügung half Michael Schwerk aus dem Betongefängnis zu entkommen. Winzige Vorsprünge ermöglichen ihm, die Wand zu erklimmen. "Ich rannte in Todesangst durch Hecken, über Zäune. Hinter mir Alarm, Hundegebell." Noch Stunden wird die Grenze nach dem Flüchtling abgesucht. Doch Michael Schwerk hat es geschafft. Er ist im Westen.

Ohne Geld, ohne Hab und Gut schlägt er sich zu Verwandten nach Frankfurt durch. "Ich begegnete vielen hilfsbereiten Menschen, vielen offenen Türen." Als Gabelstapler-Fahrer verdient Michael Schwerk sein erstes Geld im Westen, studiert später in Köln Sport und Geografie. Seine Bilanz: "Ich habe meine Entscheidung nie bereut. Endlich durfte ich Demokratie mit gestalten. Ich bin angekommen."

(RP)
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