Interview mit Michael Kleinbongartz "Zersplitterte Politik ist Standortnachteil"

Hilden · Der Vorsitzende des Hildener Industrie-Vereins blickt mit Sorge auf die globale, aber auch auf die lokale Politik.

Herr Kleinbongartz, der Hildener Industrie-Verein feiert in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen. Welchen Vergleich würden Sie ziehen - hat er die Reife eines guten Weines erreicht, die Standkraft eines massiven Baumes, die spritzige Wendigkeit eines schnittigen Oldtimers Mitte der 1950er Jahre - oder vielleicht doch ganz andere Qualitäten?

Kleinbongartz Vielen Dank für die schönen Metaphern, die alle ein wenig zutreffen. Die Reife eines guten Weines hat der Industrie-Verein, weil er immer gut geführt wurde und mit einer stabilen und wirtschaftlich erfolgreichen Mitgliederschaft gesegnet ist. Die Standkraft eines massiven Baumes hat er, weil die Grundlagen, die uns alle verbinden, die der ehrbaren Kaufleute sind, die seit Jahrhunderten Unternehmern Stolz, Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein verleihen. Und der schnittige Oldtimer passt auch, weil der Industrie-Verein in den Wirtschaftswunderjahren gestartet und bis heute in Fahrt geblieben ist.

Wie ist es um die Lage der Wirtschaft in Hilden bestellt?

Kleinbongartz Die Stärke der Hildener Wirtschaft liegt in ihrer Vielfalt und der Struktur der zahlreichen mittelständischer Unternehmen. Hier sind die Unternehmer für ihre Leistungen und Misserfolge verantwortlich und können sich nicht vor ihrer Verantwortung verstecken. Hier werden täglich Entscheidungen gefällt und nicht wie in der Politik üblich vermieden. Der Schuh drückt heute vor allem durch überzogene Vorschriften, zu hohe Steuern und Abgaben und eine verkommene Infrastruktur, die das Wirtschaftsleben immer weiter einengen.

Welche Themen bewegen Hildener Betriebe 2015 ganz besonders?

Kleinbongartz Das Jahr 2015 ist ein ganz besonderes Jahr: Es gibt einen Krieg in Europa, in den eine Weltmacht verwickelt ist, mit der wir wirtschaftlich sehr verbunden sind. In China brechen die Börsenkurse innerhalb von einer Woche ein - der Wertverlust beträgt das über 3000-Fache der gesamten Griechischen Verschuldung. Die Europäische Gemeinschaft zeigt sich unfähig, das Flüchtlingsdrama in den Griff zu bekommen sowie die Verschuldung der europäischen Staaten zu stoppen und schafft es, bei der kleinsten Krise den Euro dauerhaft zu schädigen. Das führt zu einem Vertrauensverlust in die Politik und in Institutionen und zu der Befürchtung, dass besonders harte Zeiten auf uns zukommen werden. In dieser Gemengelage, die jeden von uns trifft, ist es fast unmöglich, fundierte Entscheidungen über Investitionen zu treffen.

Welche Rolle sieht der Hildener Industrie-Verein für sich vor diesem Hintergrund?

Kleinbongartz Wir werden in Zukunft über unsere Sicht der Entwicklungen in der Welt berichten, die Einflüsse auf unsere heimische Wirtschaft haben. Durch die Globalisierung sind Entwicklungen in den USA oder China für uns heute genau so wichtig wie lokale, weil alles mit allem zusammenhängt. Unsere Stimme in der Öffentlichkeit soll dazu führen, dass Hilden und seine Bürger von unserem Engagement profitieren. Dass unsere Stimme Gewicht hat, sehen sie an den vielen Gästen auch aus der Bundes- und Landespolitik, die zu unserer Feier kommen.

Neben der Feier zum 60-jährigen Bestehen laden Sie auch zum Unternehmertag ein. Dieser widmet sich dem neuen Erb- und Schenkungssteuerrecht. Warum ist es für die Hildener Wirtschaft so wichtig?

Kleinbongartz Die geplante uns völlig unverständliche Erbschafts- und Schenkungssteuer wird dazu führen, dass ein Erbe nicht mehr ein Unternehmen übernehmen kann, ohne Teile davon zu belasten oder zu verkaufen. Notwendige Investitionen werden damit in unserer schnelllebigen Zeit verzögert. Das führt dazu, dass ein Unternehmer ab einem gewissen Alter keinen Kredit bekommt, weil die Bank befürchten muss, dass nach dessen Ableben die Steuer das Unternehmen massiv schwächen wird. Das Ergebnis ist, dass die Stärke unserer Wirtschaft, die Familienunternehmen, die in Generationen wirtschaften, von Investoren übernommen werden, die in Quartalen denken und von Börsenkursen getrieben sind. Hier steht nicht nur unsere Kultur, sondern auch das Rückgrat unseres Wohlstands auf dem Spiel - ich halte das für verantwortungslos.

Zum Geburtstag bekommt man ein Geschenk. Welches würde sich der Hildener Industrie-Verein zu seinem 60. Geburtstag wünschen?

Kleinbongartz Wir würden uns freuen, wenn die Politik erkennt, dass man nicht alles regeln kann und verbieten muss, und uns, den Unternehmern und den Bürgern, wieder die Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gibt, wie es sich für eine moderne Gesellschaft gehört. Die zersplitterte Politik in Hilden ist ein Standortnachteil, der uns besorgt. Wenn die Opposition zerstritten ist, lässt sich leicht regieren, und damit ist es nicht nötig, Höchstleistungen zu erbringen. Die sind aber nötig, wenn man dauerhaft vorne sein will.

DIE FRAGEN STELLTE ALEXANDRA RÜTTGEN.

(RP)
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