Hückelhoven Hebamme schlief sogar mal mit im Bett

Hückelhoven · Hilfarther Geschichte und Geschichten werden im Korbmachmuseum lebendig. Einen Blick zurück ins frühere Hebammenleben tat Marianne Breda jetzt vor vollem Haus. Sie erzählte über die Arbeit ihrer Mutter Wilhelmine.

 Kurzweilig und spannend berichtete Hebamme Marianne Breda über das Arbeitsleben ihrer Mutter Wilhelmine, die zwischen 1935 und 1969 rund 3000 Kindern ins Leben geholfen hat.

Kurzweilig und spannend berichtete Hebamme Marianne Breda über das Arbeitsleben ihrer Mutter Wilhelmine, die zwischen 1935 und 1969 rund 3000 Kindern ins Leben geholfen hat.

Foto: Jürgen Laaser

Mehrfach im Jahr lässt das Korbmachermuseum in Hilfarth Geschichte lebendig werden - und das war ausdrücklich am Samstag so: Hebamme Marianne Breda tat das als Referentin in doppelter Hinsicht. Lebendig schilderte sie das Arbeitsleben ihrer Mutter und Hebamme Wilhelmine Hensen, die zwischen 1935 und 1969 rund 3000 Kindern nicht nur in Hilfarth ins Leben geholfen hat. Eine starke Hundertschaft an Zuhörern war dabei, in der Mehrheit Frauen, von denen einige in der "zweiten Halbzeit" nach Kaffee und Kuchen eigene Geschichten um Geburten und Schwangerschaften beisteuerten.

"Selbst ist die Frau" war wohl das Lebens- und Arbeitsmotto der 1907 geborenen Wilhelmine Hensen, genannt "Minchen", die selbst fünffache Mutter war, vier der Kinder wurden im Krieg geboren. Die lange Zeit ohne Telefon und Auto dafür sorgte, dass gesunde Kinder zu Hause zur Welt kamen. Entsprechend waren unter den intensiv zuhörenden Besucherinnen und Besuchern etliche, die Minchen als ersten Menschen außer der eigenen Mutter kennenlernten. Manche Väter stießen erst erheblich später dazu, Marianne Breda: "Die mussten erst aus der Kneipe geholt werden." Die meisten jungen Mütter waren vor der Geburt zu Minchens Zeiten und auch später noch reichlich unaufgeklärt in vieler Hinsicht: "Zieht man einer Schwangeren einen Zahn, hat das Kind auch einen Zahn weniger. Jede Schwangerschaft kostet die Mutter ohnehin einen Zahn", waren verbreitete Sagen.

Marianne Breda machte auch gesellschaftliche Entwicklungen deutlich, mit Humor im freien Vortrag, wie das geburtenstärkste Jahr der Bundesrepublik überhaupt, nämlich 1964, in dem Minchens Hebammentagebuch allein 203 Entbindungen verzeichnete, davon fast die Hälfte nachts. Da die Hebammen auch Nachsorgen leisteten, auch noch in die Taufen eingespannt wurden, geriet selbst die arbeitsfreudige und lebenslustige Minchen Hensen in dem Jahr an ihre absoluten Grenzen. Zumal die Katholiken ihren neuen Nachwuchs immer schnell getauft haben wollten, damit sie von der "Erbsünde" befreit waren, falls sie die ersten Tage nicht überlebten, schilderte die Protestantin Marianne Breda.

Selbst war die Frau Hebamme auch bei der Geburtshilfetechnik: Um die manchmal hibbelig werdenden Mütter zu fixieren, drehte die Hebamme einfach einen großen Stuhl um und setzte die Schwangeren zwischen dessen Beine. Wunden Frauen band sie schon mal die Beine zusammen, um die Heilung zu beschleunigen. Lebhaften Säuglingen stülpte sie Klopapierrollen über die Ärmchen, um Verletzungen vorzubeugen. Und manchmal schlief Wilhelmine Hensen bei unruhigen Schwangeren mit in deren Bett, das wirkte Wunder.

All' das verfehlte die Wirkung auf Tochter Marianne nicht: Die wurde auch Hebamme. Und dies verfehlte die Wirkung auf zwei ihrer Töchter (von ebenfalls fünf Kindern) nicht: Die sind auch Hebammen. Und die Enkelin Johanna von Marianne Bredas Bruder Lambert Hensen befindet sich zurzeit ebenfalls in der Ausbildung zur Hebamme. Wie von Mutter Minchen von zu Hause gewöhnt, sorgten Marianne und Lambert Hensen denn auch für die Musik im total gefüllten Korbmachermuseum.

(isp)
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