Serie "Leben auf dem Land" Miteinander und nebeneinander

Hückelhoven · Der Wandel im Dorf vollzieht sich langsam und manchmal kaum zu sehen. In Doveren haben die Menschen sich ihr Zuhause geschaffen, die einen gerade erst, die anderen schon vor Jahren.

 Der Dorfplatz in Doveren mit Brunnen, Kirche und Fachwerkhäusern. Kreis Heinsberg und die Stadt Hückelhoven haben im Herbst die Kreisstraße 32 in der Ortsdurchfahrt saniert.

Der Dorfplatz in Doveren mit Brunnen, Kirche und Fachwerkhäusern. Kreis Heinsberg und die Stadt Hückelhoven haben im Herbst die Kreisstraße 32 in der Ortsdurchfahrt saniert.

Foto: Jürgen Laaser

Der Ort ist alt, sehr alt. Wahrscheinlich über 2000 Jahre, wie sich an der Entwicklung des Namens erklären lässt. Einige Jahre eigenständig, wurde Doveren - oder wie die Menschen gerne sagen: "het Dörp" - zu Beginn des Jahres 1972 in die Verwaltung von Hückelhoven überführt. Inzwischen leben über 3000 Menschen in Doveren, genauer in Doveren, Doverheide und Doverhahn.

Eine, die das ziemlich genau überblickt, heißt Andrea Axer, ist stellvertretende Bürgermeisterin und lebt in Doveren mit den Schwiegereltern im selbst gebauten Haus. Ihr Lebenslauf spiegelt ein wenig die typische Entwicklung vieler Einwohner wider. Denn die studierte Ökotrophologin kommt aus Rheydt, die Liebe hat sie nach Doveren geführt. 1999 trat sie in die Politik ein, inzwischen kandidierte sie erfolgreich in einem der beiden Wahlkreise von Doveren. "Doveren ist eine Schlafstadt. Die Mehrheit der Bewohner ist tagsüber nicht da." Das trage zu den Entwicklungen bei, es gibt noch zwei Metzger und einen Bäcker, der Rewe-Laden hat 2001 dicht gemacht. "Aber wir haben immerhin noch drei Ärzte", nimmt Andrea Axer ihr Doveren in Schutz. Besorgungen werden per Auto in Hückelhoven erledigt.

Nach der Bildung einer Interessengemeinschaft 2010 entstand auch ein Dorfgemeinschaftshaus. Das sei sehr wichtig für den Zusammenhalt der Menschen. "Wir haben kein wirkliches Ortszentrum, da ist so ein Haus sehr wichtig." Die Politikerin kann sich durchaus vorstellen, "hier alt zu werden." Und dann verweist sie auf die zahlreichen Feste und Vereine, die ihren Platz im Ortsleben haben.

Von diesen Festen bekommt Norbert Sieben nicht allzu viel mit. Seit 15 Jahren betreibt er mit seinem Bruder Frank das Möbelhaus im Ort, das aus der väterlichen Schreinerei entstand. "Mein Bruder nimmt am Dorfleben aktiv teil, das muss man auch, wenn man in so einem kleinen Ort arbeitet." Für ihn ist Doveren im Kern eine ältere Stadt, seine Kunden kommen aus der weiteren Region. "Das Einkaufsverhalten hat sich verändert, auch wir mussten uns dem anpassen." Er selbst fährt abends heim nach Hückelhoven.

 Seine Lagerräume befinden sich im ehemaligen Schlachtraum: Mike Frank hat die alten Fleischerhaken gut aufgehoben.

Seine Lagerräume befinden sich im ehemaligen Schlachtraum: Mike Frank hat die alten Fleischerhaken gut aufgehoben.

Foto: THOMAS MAUER

Anpassen musste sich ebenfalls Marietta Haupts, die in Doveren geboren wurde. Die 63-Jährige führt seit 1981 das einzige Hotel und die letzte verbliebene Kneipe im Ort. Obwohl sie in der väterlichen Mühle aufgewachsen war, fiel ihr der Start als Hotelier sehr schwer. "Eigentlich wollte ich in der Jugend die Welt erobern, daraus ist aber nichts geworden."

Auf den Befehl des Vaters hin hatte sie sich in der Wagnis gestürzt, ihre vier Geschwister wollten nicht. Nesthäkchen Marietta biss sich durch. "Die Stadt Hückelhoven hat mich immer unterstützt und tut das auch heute noch." Inzwischen ist das Hotel ein wenig in die Jahre gekommen, wird aber immer noch gut genutzt. "Ich möchte gern verkaufen und mich zur Ruhe setzen", klingt bei Marietta Haupts halbherzig, denn loslassen fällt ihr schwer. In all den Jahren kam sie immer nur für ganz wenige Tage zu einem Urlaub bei ihrer Tochter, die mit Familie in Österreich lebt.

In der Doverener Mühle treffen sich Vereine, Gesellschaften und Bruderschaften, alle zu den Bedingungen von Marietta. "Ich kassiere die Handys ein, die Leute sollen miteinander sprechen, wenn sie ihr Bier trinken", lacht die resolute Chefin.

Und später? "Nur in Doveren könnte ich nach der Rente nicht leben, aber ich werde hier immer meinen ersten Wohnsitz haben."

Einer, der ganz weg geht mit der Rente, heißt Gerd Bochen. Seit 2006 betreibt der Mechaniker eine Reparaturwerkstatt auf dem Gelände der ehemaligen Tankstelle. "Wer bei mir auf der Bühne steht, hat gewonnen", schmunzelt er. Viele treue Kunden kommen mit ihren Autos zu ihm, alle Fabrikate nimmt er für die kleineren Sachen. Aber im April ist Schluss, dann geht er in Rente. Und mit ihm der letzte Automechaniker im Ort. "Ich habe den Traum, mir ein Schiff zu bauen. Mal sehen, ob das klappt."

Und auch Wolfgang Stübner wird in ein paar Jahren aufhören. Die Menschen im Ort kennen ihn nur als "Stübi", denn bei ihm gibt's Schnitzel, Currywurst und Fritten. "Das macht 12,20 Euro", tönt es von der Kasse. "Machense 13", kommt die Antwort. Bei Stübis Imbiss stehen die Leute gerne Schlange, Sonntags besonders. Der gelernte Metzger hat sich einen Ruf erarbeitet, nicht nur weil er fleißig ist. "Ich arbeite an sieben Tagen vierzehn bis fünfzehn Stunden." Im Akkord hatte er früher Tiere zerlegt, bis es zu viel wurde. "Ich kann mit linker wie rechter Hand gleichermaßen schlachten."

In der ehemaligen Metzgerei im Ort entstand vor acht Jahren langsam der Imbiss und der Partyservice. Anfangs auch der Mittagstisch für die Schulen, aber den musste Stübner aus Kostengründen wieder einstellen. "Wir haben ungefähr 1600 Party-Aufträge im Jahr." Sohn Frank und vor allem die Ehefrau stehen ihm zur Seite. Die Ausrüstung wurde nach und nach dazu gekauft, seine alten Schlachtermesser hält er jedoch in Ehren.

Allerdings hat ihm die Gesundheit vor kurzem deutlich signalisiert, dass Wolfgang Stübner über sein Berufsende nachdenken muss. Den Gedanken schiebt er gern von sich. "Die Ärzte haben mir geraten, langsam aufzuhören." Das soll wie eine Entschuldigung klingen. Die Bewohner von Doveren müssen jedoch langsam über die frittenlose Zeit nachdenken.

Dieses Schicksal wird auch die Kinder von Sabine Mathey und Till Rumpf treffen. Zusammen mit Vincent (11), Thorben (10), Lars (9), Manuel (8) und Timo (7) bilden die sieben eine außergewöhnliche Patchwork-Familie. Beide Elternteile hatten ihre Partner verloren, sich mehr zufällig gefunden und beschlossen, gemeinsam in die Zukunft zu starten. Mutter Sabine kommt eigentlich aus Hamburg, fühlt sich jedoch im Rheinland sehr wohl. "Die Menschen sind hier offener."

Ehemann Till ist in Hückelhoven ein bekanntes Gesicht. Sein Vater hatte das Vermessungsunternehmen aufgebaut, der Sohn ist eingestiegen. "Die Übergabe war nicht einfach. Vor allem, weil ich ihm nur schwer vermitteln konnte, dass er nicht alles schlecht gemacht hat, sondern ich einfach etwas anders mache", beschreibt der 40-Jährige seinen Umgang mit dem Vater.

Gemeinsam hatten Sabine und Till gerade noch ein Grundstück in Doverheide ergattert. "Als wir es erst hatten, hat die Stadt uns sehr unterstützt." Fünf Knabenzimmer bilden im ersten Stock eine Front zur Straße, das Grundstück ist angesichts der vielen Bewohner üppiger als gewöhnlich. Das Paar hat bei den Planungen jedoch darauf geachtet, später einmal auch abtrennen zu können. "Heimat ist für mich ein schwieriger Begriff", betont die Hanseatin Sabine. "Heimat ist für mich das eigene Haus."

Das eigene Haus hat er nicht in Doveren, wohl aber sein Geschäft. Erst vor zwei Jahren ist Mike Franc als Installateur im Ort tätig. Seine Kundschaft betreut er über ganz NRW, das hängt mit seinem vorherigen Unternehmen in Düsseldorf zusammen. Aber inzwischen kennen ihn die Leute in Doveren. "Die kommen auch schon mal in Schluppen hier rein und klagen über eine undichte Heizung", lacht der Handwerker. Mit Mitte 40 will er sich in Doveren eine neue Existenz aufbauen, auch er ist über die Liebe in die Gegend gekommen. An Karneval hatte er den Hinterhof geschmückt und mit den Nachbarn gefeiert. Wenn sie jetzt Licht in seinem Büro sehen, klingeln sie. Inzwischen muss Anna Trexler im Büro für Ordnung und bei den Kunden für Rückrufe sorgen.

Alle haben in Doveren Fuß gefasst, die einen bereits vor Jahren, die anderen erst vor kurzem. Mit kleinen oder größeren Aktionen tragen sie zum Dorfleben bei, für den Außenstehenden nicht immer sichtbar, bei näherer Betrachtung gut erkennbar.

(RP)
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