Hückeswagen Auf dem Weg zur zufriedenen Abstinenz

Hückeswagen · Einen Ausweg aus ihrer Sucht suchen die Betroffenen und deren Angehörigen der Selbsthilfegruppe "Chance", die sich jeden Dienstagabend in den Räumen der Islandtafel trifft. Auch gibt es Hilfe beim Umgang mit der Sucht.

Wenn Alkohol nicht mehr als das genutzt werden kann, was er auch ist - ein Genussmittel nämlich -, dann ist der Weg in die Sucht nicht weit. Weil nämlich dann das "Trinken-Wollen" vom "Trinken-Müssen" verdrängt wird. Laut einer von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen zitierten Statistik aus dem Jahr 2012 fallen 3,4 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 64 Jahren - und damit rund 1,8 Millionen Deutsche - unter diejenigen, die nach medizinischen Kriterien an einer Alkoholabhängigkeit leiden.

In Hückeswagen gibt es neben dem Blauen Kreuz eine weitere Selbsthilfegruppe für Angehörige und Betroffene von Suchterkrankungen: "Chance" heißt sie und ist aus der Selbsthilfegruppe des Blauen Kreuzes hervorgegangen. Die Teilnehmer treffen sich in der Islandtafel an der Bachstraße, die Gruppe ist offen für alle: "Wir sind überkonfessionell tätig. Das war auch ein Grund für die Abspaltung vom Blauen Kreuz, das ja sehr religiös orientiert ist", erläutert Bernd Schenk, der als Teil des Vorstands der Islandtafel die Räumlichkeiten vermitteln konnte. Ansonsten sieht er sich jedoch nicht als Initiator, Leiter oder Koordinator der Selbsthilfegruppe: "Wir haben davon bewusst Abstand genommen. Es soll keinen 'Vorbeter' bei den Treffen geben. Ich habe nur zusammen mit meiner Frau Ute für die Räumlichkeiten gesorgt", berichtet Schenk.

Zwischen acht und zehn Betroffene und Angehörige kommen regelmäßig. Eine Art Kerngruppe, die sich teils schon seit der Schule kennt. Ute Schenk kocht derweil Kaffee in der Küche. Bei den Treffen gibt es immer kleine Snacks wie Chips oder Nüsse, dazu Kaffee. Das ist aber, neben den Gruppenzeiten, die einzige feste Konstante. "Wir haben etwa keine sogenannten Befindlichkeitsrunden, wie sie bei den Anonymen Alkoholikern die Regel sind", sagt Schenk. "Dazu kennen wir uns auch zu gut. Wir haben untereinander die Offenheit und Freiheit, zu sagen, wenn uns etwas umtreibt - auch ohne diese Form der Auflockerung."

Das ändert sich natürlich, wenn jemand zum ersten Mal dabei ist. Schenk: "Der wird natürlich nicht direkt auf seinen Zustand angesprochen, sondern das läuft dann sehr feinfühlig ab." Die Stimmung ist bei den Treffen ohnehin recht locker, das ist auch ein Resultat von fehlenden Routineabläufen: "Andere Gruppen haben diese Schemata, da weiß man im Prinzip schon vorher, was gleich passieren wird. Wir wollten davon weg, deswegen haben wir das bei 'Chance' anders gehandhabt", sagt Schenk. So wird über Gott und die Welt und das Hückeswagener Stadtgeschehen gesprochen. Aber natürlich sind auch der Alkohol und der tägliche Umgang mit der Abstinenz ein ständig wiederkehrendes Thema.

Denn ab und zu "kribbelt" es schon noch, erzählt ein Hückeswagener, der seit vielen Jahren trocken ist und regelmäßig zu "Chance" kommt: "Dann etwa, wenn die Kollegen nach dem Training das erste Bier trinken. Die Erinnerung daran ist ja nicht ausgelöscht. Aber dann nehme ich mir eine Apfelschorle - das zischt genauso gut", sagt der Mann und lacht leise. Ein anderer ergänzt: "Wir scheuen jetzt keine Gesellschaft, nur weil dort Alkohol getrunken wird. Dieses leichte Kribbeln, damit habe ich gelernt zu leben. Ich bin seit fünf Jahren trocken." Seine Familie hatte ihn damals vor die Wahl gestellt: Alkohol oder Familie. "Das hat mir gereicht, seit diesem Tag habe ich nichts mehr getrunken."

Das ist auch das große Ziel aller trockenen Alkoholiker: die zufriedene Abstinenz. Oder wie Bernd Schenk es ausdrückt: "Weg vom Nicht-mehr-trinken-dürfen, hin zum Nicht-mehr-trinken-wollen. Das ist unser höchstes Ziel."

(wow)
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