Rückblende Hückeswagen Vor 100 Jahren Pfarrer Stiehl und die Not im Kriegsmonat August 1917

Hückeswagen · Gerade will der Gastronom einer kleinen Hückeswagener Pension den Frühstückstisch für die Gäste decken, da klopft es laut an der Tür. Und dann stehen die Gendarmen auch schon im kleinen Gästesaal.

 Der evangelische Pfarrer Friedrich Julius Stiel.

Der evangelische Pfarrer Friedrich Julius Stiel.

Foto: archiv norbert bangert

Ohne große Worte, mit grimmigem Blick und mit der Verordnung des Reichsbekleidungsamtes in einer der Jackentaschen werden die gesamten Bestände an Bettwäsche und Tischdecken kurzerhand beschlagnahmt. Zurück bleibt der hilflose Betreiber.

Wir wissen nicht genau, welcher Gasthof es war, von der Beschlagnahmung jedoch berichtete die Bergische Volkszeitung (BVZ) am 29. August 1917 in einer knappen Meldung. Es ist einer von vielen Berichten imAugust vor 100 Jahren, die die pure Not während der Ersten Weltkriegs beschreiben - einem seit drei Jahren tobenden irrwitzigen Stellungskrieg, der unzählige Menschen das Leben gekostet hatte.

Die Reichsbranntweinstelle rationierte den Brennspiritus, die Gasanstalten mussten dafür sorgen, dass nicht so viel Gas verbraucht wird. Ein Artikel der BVZ vom 24. August 1917 warnte die Hausfrau mit hilfreichen Tipps vor dem vergeblichen Einkochen, weil die Gummiringe, mit der die Einmachgläser normalerweise abgedichtet werden, entweder in schlechter Qualität oder gar nicht mehr geliefert wurden.

Die Beispiele für dieses alltägliche Elend auch in der Schloss-Stadt ließe sich ohne Probleme ausweiten. Es gibt einige Menschen, die wollten, so gut sie konnten, Abhilfe schaffen. Sie stemmten sich der vielfachen Verzweiflung in den Familien entgegen. Einer von ihnen war der evangelische Pfarrer Friedrich Julius Stiel (1879-1925). Am 1. November 1906 kam der studierte Geistliche, der die Universitäten in Halle, Tübingen und Bonn absolvierte, als Vikar nach Hückeswagen.

Im Juni 1907 wurde er von der Gemeinde einstimmig zum neuen Pastor gewählt; sein Amt hatte er bis zu seinem Tod im Jahr 1925 inne. Im Kriegsmonat 1917 war er als Schriftführer für den "Vaterländischen Frauenverein Hückeswagen-Neuhückeswagen tätig". Für seinen Einsatz und das unermüdliche Einsammeln von Spenden für die Ärmsten erhielt der Pastor schließlich am 27. August 1917 das Verdienstkreuz für Kriegshilfe.

Ein weiteres Beispiel für einen Menschen, der mit Sicherheit sein Bestes getan hat, ist Schwester Osi-tha, Oberin des Marienhospitals. Sie erhielt die "Rote-Kreuz-Medaille allerhöchst". Wie verzweifelt die Schwester angesichts des Elends im Hospital gewesen sein muss, erfahren die Leser in den kurzen Schilderungen nicht. Was heutzutage als Fernsehkonsumenten im Gedächtnis bleibt, sind die vielen medial aufbereiteten Bilder jener vergangenen Tage von den Schlachten in Verdun und anderswo. Über Pfarrer Stiehl, die Schwester Oberin und andere hingegen hat sich längst wieder der Mantel des Vergessens gelegt.

(nob)
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