Hückeswagen "Wo bleibt die Menschenwürde?"

Hückeswagen · Friedel Pfeiffer, Urgestein und Gründer der Gefährdetenhilfe Scheideweg, wendet sich mit eindringlichen Worten zu Wort. Anlass ist ein Archivfund aus dem Jahr 2009 verbunden mit schmerzlichen Erinnerungen an die NS-Zeit.

 Friedel Pfeiffer, der Gründer der Gefährdetenhilfe Scheideweg, zeigt den alten Zeitungsausschnitt von 1932.

Friedel Pfeiffer, der Gründer der Gefährdetenhilfe Scheideweg, zeigt den alten Zeitungsausschnitt von 1932.

Foto: Jürgen MOll

Alles hat seine Zeit - diese Worte markieren für Christen eine fundamentale Bibelstelle aus dem Buch der Prediger. Friedel Pfeiffer, ausgezeichnet mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland und Gründer der Gefährdetenhilfe Scheideweg, ist Christ. Und nicht nur aus diesem Grund war für ihn nun die Zeit gekommen, auf ein für ihn ganz besonderes Dokument hinweisen.

Bekommen hatte er es bereits im August 2009: Die ihm bekannte Archivarin Marlies Bünsch aus dem Gemeindearchiv Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern übersandte ihm die Kopie eines Zeitungsartikels vom 14. März 1932 mit dem profanen Titel "Drei Tote in Hückeswagen". "Es war ein schlimmer und schwieriger Fund für Frau Bünsch", erinnert sich Pfeiffer im Gespräch mit unserer Redaktion. "Es kamen Rückerinnerungen an eine böse Zeit. Da ich 1935 geboren wurde, war die Nazizeit Bestandteil meines Lebens", erzählt Pfeiffer.

Der Grund für die Reaktionen beider wird deutlich, wenn man sich das zeitgeschichtliche Ereignis vergegenwärtigt. Der Artikel schildert die Kommunistenmorde in Hückeswagen vom 13. März 1932, bei denen im Rahmen politischer Auseinandersetzungen Bruno Blumberg, Johann Fries und Wilhelm Mondre von einem Nationalsozialisten erschossen wurden.

Das Ereignis sorgte in Hückeswagen für Aufruhr und schlug auch überregional große Wellen. Alleine der Trauerfeier für die drei Kommunisten wohnten 15.000 Menschen bei. Im November 2016 wurden an der Peterstraße, dem finalen Ort der Auseinandersetzung, drei sogenannte Stolpersteine in erinnerung an die Opfer verlegt. "Als ich den Artikel 2009 zum ersten Mal las, war mir der konkrete Vorgang neu, aber meine Erinnerungen wurden wieder geweckt. Ich war zudem erschüttert, dass sich in dem sonst so schönen und beschaulichen Hückeswagen 1932 solche Dinge entwickeln konnten", sagt Pfeifer.

Und hier schließt sich der Kreis zur Gegenwart. Friedel Pfeiffer ist nach dem Ergebnis der Bundestagswahl genötigt, nochmals von dem Dokument zu berichten. "Damals saßen die Menschen am Volksempfänger und sprachen sinngemäß: ,Still, der Führer spricht.' Er hat auch von Vorsehung gesprochen." Das System der Einflussnahme in dieser Form hat für Pfeiffer einen tiefen Schrecken. So war es die Mutter gewesen, berichtet Pfeiffer, die ihre vier in Scheideweg aufwachsenden Kinder vor den Nazis bewahren wollte. "Sie hat uns den Umgang mit der HJ verboten, deren Prunk wir aus einiger Entfernung von einem Zaun aus manchmal beobachten konnten."

Friedel Pfeiffers unausgesprochene, aber deutliche Warnung vor Fehlentwicklungen ist dabei nicht nur auf extreme Parteien gemünzt. Seine Sorge gilt den Geschundenen, egal ob er verfolgter Kommunist, Zwangsarbeiter im Dritten Reich oder Strafgefangener in der Mongolei ist. "Es ist unsagbar, wie Menschen manchmal mit Menschen umgehen! Ich habe auch viel in Gefängnissen gesehen. Ich frage mich manchmal: Wo bleibt die Menschenwürde?"

(nob)
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