Jüchen Nach Atomgau nur acht Stunden für Jodschutz

Jüchen · Jüchen würde Jodtabletten in Turnhallen ausgeben. Einen Schutz vor Schilddrüsenkarzinom gibt's nur bis zu acht Stunden nach dem Gau.

 Vorräte von hoch dosierten Jodtabletten werden jetzt auch beim Rhein-Kreis Neuss für die Gemeinde Jüchen vorgehalten.

Vorräte von hoch dosierten Jodtabletten werden jetzt auch beim Rhein-Kreis Neuss für die Gemeinde Jüchen vorgehalten.

Foto: Kreis Heinsberg

Mit einem möglichen Gau eines der maroden belgischen Atomkraftwerke in Tihange und Doel muss sich auch die Gemeinde Jüchen zunehmend intensiver befassen. Jüchen liegt von Tihange etwa 138, von Doel rund 210 Kilometer entfernt. Sollte bei einem "Worst Case-Szenario" eine radioaktive Wolke freigesetzt werden, müsste die Gemeinde Jüchen aber an alle Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren sowie Schwangere innerhalb von maximal acht Stunden hoch dosierte Jodtabletten zum Schutz vor einem späteren Schilddrüsenkarzinom verteilt haben: Darüber informierte Professor Dr. Lutz Freudenberg jetzt im Umwelt- und Verkehrsausschuss.

Bürgermeister Harald Zillikens hatte den bekannten Nuklearmediziner aus Grevenbroich spontan zu einem Informationsvortrag eingeladen. Zwar befasst sich der Rechts- und Sozialausschuss erst in der nächsten Woche mit dem Verteilmodus für die Jodtabletten in Jüchen. Die sollen in drei Siedlungsschwerpunkten der Gemeinde - in der Peter-Bamm-Halle in Hochneukirch, in der Zweifachsporthalle an der Stadionstraße in Jüchen und in der Dreifachsporthalle in Bedburdyck - verteilt werden. Als Berechtigte hat die Gemeinde 3948 Kinder und Jugendliche dem Kreis gemeldet. Dazu komme die in einem Katastrophenfall aktuelle Zahl von Schwangeren und Stillenden.

 Nuklearmediziner Professor Lutz Freudenberg.

Nuklearmediziner Professor Lutz Freudenberg.

Foto: Baum

Lutz Freudenberg betonte die absolute Wichtigkeit eines Zeitfensters von 48 Stunden vor und nur acht Stunden nach Erreichen einer atomaren Wolke, in dessen Verlauf die Verabreichung einer Jodblockade überhaupt Sinn mache. Wenn die Jodblockade zwei Stunden nach dem Gau eingenommen werde, verringere sich das Karzinomrisiko auf 80 Prozent, nach acht Stunden nur noch auf 40 Prozent. Hingegen warnte der Nuklearmediziner vor einer zu frühen Einnahme von Jodtabletten, "die dann sogar erheblich schaden". Denn Deutschland sei ein Jodmangelland, in dem jeder Dritte eine vergrößerte Schilddrüse habe. Schilddrüsenfunktionserkrankungen seien deshalb sehr verbreitet. Wenn nun "präventiv" zu früh oder auch von Menschen außerhalb der Risikogruppe der Kinder und Schwangeren die hoch dosierte Jodblockade eingenommen werde, löse diese eher eine dramatische Verschlechterung aus. Bei Schilddrüsenüberfunktion könne dies sogar ein Herzinfarkt sein, warnte der Mediziner.

In anderen Ländern, wie den USA oder der früheren DDR, sei dem Trinkwasser Jod beigesetzt und die Schilddrüsenerkrankungen damit weitgehend ausgemerzt worden: "Aus medizinischer Sicht halte ich das für sinnvoll. Aber da so ein Grundnahrungsmittel manipuliert würde, ist es auch ein politisch heiß diskutiertes Thema", sagt Freudenberg. Für Jüchen sei wichtig, dass bei einer notwendigen Verteilung von Jodtabletten auch unbedingt über die richtige Einnahme und die Schutzzeit aufgeklärt werden müsse. Außerdem müssten die Jodtabletten, die für den Ernstfall eingelagert werden, entsprechend ihres Haltbarkeitsdatums alle paar Jahre erneuert werden.

(NGZ)
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