Kamp-Lintfort In St. Hedwig leben junge Pflegebedürftige

Kamp-Lintfort · Das St.-Hedwig-Pflegeheim in Kamp-Lintfort hat eine Wohngruppe für junge Menschen geschaffen, die der Pflege bedürfen. Die Einrichtung ist bislang die einzige am linken Niederrhein, die die "Junge Pflege" anbietet.

 Regelmäßig übt Sabrina H. mit Claudia Wörner das Schreiben mit der Hand - einer von vielen kleinen Schritten zurück ins Leben in der Jungen Pflege in St. Hedwig in Kamp-Lintfort.

Regelmäßig übt Sabrina H. mit Claudia Wörner das Schreiben mit der Hand - einer von vielen kleinen Schritten zurück ins Leben in der Jungen Pflege in St. Hedwig in Kamp-Lintfort.

Foto: Harald Westbeld/Caritas Münster,

Konzentriert malt Sabrina H. Buchstaben für Buchstaben auf den Zettel. Ein bisschen krakelig sieht es noch aus, aber durchaus lesbar. Sie ist unzufrieden, ungeduldig. Claudia Wörner, die sie betreut, freut sich dagegen über diesen bedeutenden Fortschritt. Ein Autounfall hat Sabrina H. vor drei Jahren aus der Lebensbahn geworfen, lange lag sie im Koma, schwere Behinderungen sind zurückgeblieben. In kleinen Schritten tastet sie sich wieder ins Leben zurück. 30 Jahre ist sie alt und wohnt jetzt im Altenheim St. Hedwig in Kamp-Lintfort. Nur dort gibt es am linken Niederrhein 17 Plätze "Junge Pflege" in eigenen Wohngruppen. In der Pflege sind die Erfahrungen in der Betreuung alter Menschen für die Mitarbeiter hilfreich. Das St.-Hedwig-Heim hat sich auf die Bedürfnisse der Bewohner eingestellt.

Ein Kicker steht im Keller, "Skandal im Sperrbezirk" dröhnt aus dem Lautsprecher und zwischendurch wird das "Nagelstudio" geöffnet. All das und viel mehr Möglichkeiten, die es für die neuen Bewohner andernorts nicht gab. Sie lebten zuhause, wo die Angehörigen mit der Pflege überfordert waren, sie kommen aus Krankenhäusern und Altenheimen, wo sie "eingestreut" in Wohngruppen zwar gut gepflegt wurden, aber nicht altersgerecht leben konnten.

Jeder Fall ist speziell und fordert das Team um Claudia Wörner (33), die die Junge Pflege mitaufgebaut hat, immer wieder heraus. Und um jeden Fall, sagt Einrichtungsleiter Fred Krusch, "müssen wir mit den Kostenträgern kämpfen". Vor allem der Anfang in Jahr 2011 sei nicht leicht gewesen. Als der Durchbruch gelang, sei im Hauruck im Erdgeschoss eine Wohngruppe leergezogen worden. Allerdings habe es nicht - wie erwartet - Jahre gedauert, die Räume neu zu füllen. Die elf Plätze sind längst belegt, 13 weitere mussten schon 2014 bereit gestellt werden und waren ebenfalls schnell gefüllt. Schwer taten sich die Kostenträger, weil der Aufwand doch deutlich höher ist. Weil es besondere Fälle sind: "Da sind schon exotische dabei", sagt Krusch. Zeit kosten aber auch die besonderen Anforderungen jüngeren Lebensalters. Die Jeans muss modisch eng sein, lässt sich aber nicht so schnell anziehen, erklärt Wörner. Duschen ist auch weit öfter angesagt, und im Sommer möchten die jungen Bewohner in den Liegestühlen die Sonne genießen, müssen dafür aber eingecremt werden. "Und wir müssen darauf achten, dass sie gleichmäßig bräunen", sagt Krusch.

Locker geht es zu. Denn Frust gibt es auch reichlich, sagt der Leiter des Hedwigheims. Viele hadern wie Sabrina H. mit ihrem Schicksal. Depressionen seien deshalb auch Thema, so Fred Krusch. Dabei gibt es durchaus Erfolge. Mancher Bewohner konnte wieder ausziehen nach Hause oder in eine andere Einrichtung näher bei ihren Familien.

Der jüngste Bewohner, ein 27-jähriger Kasache, erlitt den klassischen Badeunfall nach Kopfsprung. Sein Zustand sei ziemlich schlecht gewesen, als er in der Kamp-Lintforter Einrichtung angekommen sei, berichtet Krusch. Mittlerweile habe er Deutsch gelernt und gehe in einer Werkstatt der Caritas Wohn- und Werkstätten Niederrhein (CWWN) arbeiten. Das sei auch in anderen Fällen schon gelungen, weil dort neben der Arbeit die notwendige Pflege und Tagesstruktur gesichert seien. Viele der Bewohner bleiben lang. Auch das sei ein deutlicher Unterschied zu den übrigen 65 betagten Bewohnern in St. Hedwig. Deren durchschnittliches Einzugsalter liege bei etwa 87 und entsprechend bemesse sich die durchschnittliche Verweildauer mit sieben bis acht Monaten und nicht in Jahren. Viel Wert werde deshalb darauf gelegt, den jungen Bewohnern das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Das fange bei der individuellen Gestaltung der Zimmer erst an. Sabrina H. hat große Teile der Wände mit bunten Bildern beklebt, die ihr ihre junge Tochter mitbringt, die jetzt bei ihren Großeltern lebt. Gerne hätte Sabrina auch eine Wand pink gestrichen.

Ausflüge werden unternommen, Bundesligaspiele besucht, Feten organisiert, im Sonnenstudio gebräunt oder abends mal Cocktails gemixt. Fred Krusch hat die Kostenträger überzeugen können, dass all dies und die spezielle Pflege mehr Zeit, also auch mehr Mitarbeiter braucht. Auch wegen des erhöhten Diskussionsbedarfs, der sich immer wieder ergebe. Das Miteinander im Haus sei harmonisch. Alt und Jung leben nicht nebeneinander, es gibt viele Kontakte, Hilfe untereinander, und in den Urlaub wird gemeinsam gefahren. Krusch macht sich für die Bewohner stark. So hat vor Jahren mit Sky verhandelt, dass der Vorstand nach Kamp-Lintfort kam.

Ergebnis: Der erste Vertrag europaweit eines Altenheims mit Sky. Die "Junge Pflege" gilt jetzt als "Sportsbar".

(RP)
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