Stadt Kempen 20 Jahre fleißige Frühstücksmütter

Stadt Kempen · Es begann mit dem Verkauf gesunder Kost im Treppenhaus. Heute esssen in der "Kästneria", der Mensa von Realschule und Gesamtschule in Kempen, täglich 600 Gäste. Die Speisen werden auch mit dem Herzen zubereitet.

 In der "Kästneria" geht es heute professionell zu, die Schüler wissen es zu schätzen. Hier im Service (v.l.): Barbara Baumer, Sylvia Boese und Janine Weyers.

In der "Kästneria" geht es heute professionell zu, die Schüler wissen es zu schätzen. Hier im Service (v.l.): Barbara Baumer, Sylvia Boese und Janine Weyers.

Foto: wolfgang kaiser

Rasch noch die Würstchen aus dem Ofen geholt! Liegen die Tomatenscheibchen auch zum Anbeißen schön auf den Brötchen? Ein Team hurtiger Helfer legt letzte Hand an - zum Schulfrühstück in der "Kästneria", der Mensa der Erich Kästner Realschule und der Gesamtschule. Da klingelt's schon zur großen Pause, und die ersten hungrigen Kinder drängeln durch die Glastür herein. Vor dem reich bestückten Büffet bildet sich eine lange Schlange. Jeder freut sich auf seinen Lieblings-Imbiss. Angeboten wird ein Sortiment belegter Brötchen, darunter auch Vollkorn, mit den verschiedensten Auflagen; Toast mit Käse und Tomaten belegt; Laugenstangen und vor allem viel frisches Obst. Ein Apfel kostet 30 Cent, ein Salat 50 - die Preise gelten nur für Schüler und Lehrer. Das kommt an. 600 Gäste speisen hier täglich Gesundes zum Selbstkostenpreis. Viel Engagement macht`s möglich.

Ein Engagement, das jetzt seinen 20. Geburtstag feierte. Mitte der 90er-Jahre kommt ein Drittel der Schüler - und das trifft nicht nur auf die Realschule zu - ohne gefrühstückt zu haben in den Unterricht. Dagegen machen die Pädagogische Schulleiterin Gisela Kessler und die Hauswirtschafts- und Englischlehrerin Petra Kamplade engagierte Eltern mobil. Erstmals im Dezember 1996 verkaufen fünf "Frühstücksmütter" unter der Leitung von Karin Barth und Elke Jütten gesunde Kost im Treppenhaus. 2001 sind es schon 30 Frauen, eingeteilt in acht Gruppen. Täglich außer montags bieten sie gesunde Leckereien an. Manchmal mit unerwarteter Resonanz. "Da sagte eine Mutter doch zu mir: Toll! Da kann ich länger ausschlafen, brauch meinem Kind kein Frühstück mehr zu machen", erinnert sich Frühstücksmutter Monika Schweig. Und fährt fort: "Heute ist die Tendenz, den Kindern Geld in die Hand zu drücken, damit sie sich etwas kaufen, statt ihnen ein Schulbrot mitzugeben."

Was zunächst Improvisationscharakter hatte, perfektionierte sich im Laufe der Zeit. In der neuen Caféteria der Real- und Gesamtschule, der "Kästneria", eingeweiht am 15. November 2011, ist das zunächst ehrenamtlich betriebene "Gesunde Frühstück" zu einem professionellen Service geworden. Ein festes Viermütter-Frühstücksteam, das die Arbeit in Teilzeit betreibt, managt den Betrieb.

Unterstützung findet die kleine Stamm-Mannschaft durch einen ehrenamtlichen Kreis von 23 Helfern, die abwechselnd und nach genauem Plan mit anfassen. Zusätzlich zum Frühstücks-Angebot in den großen Pausen hält ein Dreimütter-Mittagsteam in der Pause nach dem Unterricht abwechslungsreiche Snacks bereit, frisch zubereitet.

Doch immer noch ist individuelle Betreuung Trumpf, werden die Speisen auch mit dem Herzen gemacht. Hier stehen Mütter und Väter an der Theke, die alle Kinder in der Schule hatten oder haben und die wissen, was ihnen gut tut. Und die die ganz persönliche Geschmacksrichtung kennen. "Die Küche ist toll, und die Küchenfrauen sind sehr nett", sagt ein 16-Jähriger der die Realschule seit dem 1. Februar 2016 besucht. Seine Familie ist aus Afghanistan geflohen, weil die Taliban den jungen Mann dort in ihre Armee pressen wollten. "Sie bereiten Essen speziell für mich zu, ohne Schweinefleisch", lobt der Muslim. "Natürlich nehmen wir auf die Bedürfnisse der einzelnen Konfessionen Rücksicht", erklärt Teamleiterin Elke Jütten. Deshalb locken auf der Theke auch Leckerbissen aus anderen Kulturkreisen wie Yufka-Teigtaschen, gefüllt mit Schafskäse und Petersilie - auf türkisch: Börek, oder, für Migranten mit muslimischer Herkunft: Ciabatta mit Thunfisch.

Was sagen die Kunden? Die Gruppe, die hier vorne am Tisch sitzt, komm aus einer Klasse 9, und alle sind 14 Jahre alt. "Ich finde es gut, dass die Mütter ihre Zeit opfern", meint Lea Braun und fügt hinzu: "Die Toast-Ecken sind besonders lecker." "Die Frühstücksmütter sind wirklich nett" ergänzt Zoé Schumacher. "Und das Essen ist immer frisch" meint Conor MacCon Iomaire, dessen Eltern aus Irland kommen. "Hier gibt`s keine aufgetauten Brötchen, die kommen direkt vom Bäcker." Ciara Perica - ihr Vater stammt aus Italien, die Mutter auch aus Irland - lobt die Vielfalt des Angebots: "Jede Pause gibt es etwas anderes zu essen."

Indes: Die Kästneria versteht sich nicht nur als Speiseraum - sie ist ganz bewusst auch Bestandteil der beiden Schulprogramme. Zu deren "Woche der Höflichkeit" hat sie jetzt aktiv beigetragen. Eine neue Wegführung zur Theke und wieder zum Ausgang hinaus verhindert seither unschönes Gedrängel. Pfeile mit Aufschriften wie "Halte durch" oder "Danke für Deine Geduld" mahnen zu Anstand und Rücksichtnahme. Und die Speisekarte trägt zur Friedensstiftung bei - mit einem heißen Kakao namens "Seelenwärmer", dazu gibt`s Waffeln mit Sahne und Kirschen. Das passt. Monika Schweig hat die Anfänge der Frühstücksmütter mitgemacht, und sie zieht einen Vergleich: "In den Pausen sind die Kinder in den letzten Jahren lauter geworden." Vielleicht haben sie mehr abzuladen? Dafür bietet die Kästneria Gelegenheit. Statt mit dem Smartphone kann man sich hier noch Auge in Auge austauschen und ganz persönlich Gespräche führen. Aber an der Lautstärke wird gearbeitet. Viele kleine Smilies an den Wänden rufen dazu auf, leisere Töne zu pflegen.

(hk-)
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