Serie Zur Geschichte Und Bedeutung Der Kempener Landesburg (1) Am Anfang stand ein Herrenhof

Kempen · Was wird aus der Kempener Landesburg? Die Frage bewegt die Bürger, seitdem ein Neubau des Kreisarchivs an anderer Stelle feststeht. Eine würdige Verwendung ist Kempen seiner Burg schuldig, denn ihre Geschichte ist mit der Historie der Stadt eng verknüpft. In einer Serie stellt die Rheinische Post ihre reiche Vergangenheit vor und nennt erstmals ein plausibles Baudatum der ersten Kempener Burg.

 Die Kempener Burg, das älteste weltliche Bauwerk der Stadt, in einer Zeichnung um 1950.

Die Kempener Burg, das älteste weltliche Bauwerk der Stadt, in einer Zeichnung um 1950.

Foto: Heimatbuch 1950

KEMPEN Spätestens um 1000 nach Christus ist das Kempener Gebiet in den Besitz des Erzbischofs von Köln gekommen. Die Bewohner der Lehmhütten, die sich hier und da in den Urwald aus Eichen und Buchen duckten, wurden zu einer erzbischöflichen Grundherrschaft organisiert. Deren Verwaltungsmittelpunkt war, auf einer leichten Anhöhe östlich der Heerstraße Neuss-Nimwegen gelegen, der erzbischöfliche Fron- oder Herrenhof. Auf ihm residierte ein erzbischöflicher Beamter, ein Schultheiß, der - wie seine Amtsbezeichnung schon sagt - die Schuld der Hintersassen "heischte" im Sinne von "forderte". Ihm hatten die Kempener Bauern die Abgaben zu leisten - einen Teil ihrer Ernte und ihres Viehs -, zu denen sie ihrem Grundherrn, dem Erzbischof, verpflichtet waren. Dazu kamen zahlreiche Dienste: Die Felder des Fronhofs waren zu bebauen, zur Entwässerung waren Gräben zu ziehen, die Wege waren instand zuhalten. Dafür bot der Erzbischof den Untergebenen seinen Schutz.

Wann eine Burg an die Stelle dieses Fronhofs trat, war bisher unklar. Zahlen wie 1308 oder 1316 schwirren durch die Luft, aber sie sind falsch und beruhen auf Lese- oder Übertragungsfehlern. Zum wahrscheinlichen Baudatum führen Überlegungen zur politischen Entwicklung.

Hintergrund für den Bau der Kempener Burg war das damalige Bestreben verschiedener Fürsten, ihre verstreuten, an bestimmte Personen gebundenen Rechte zu einheitlichen Herrschaftsbezirken zusammenzufügen - zu Territorien. Geschlossene Distrikte mit festen Grenzen sollten eine zweckmäßigere Verwaltung mit mehr Macht ermöglichen. Ziel war nicht mehr, von diesem und von jenem Bauern, die einem als Grundherrn unterstanden, so und so viele Säcke Getreide im Jahr zu verlangen. Künftig wollte man von allen Bewohnern eines bestimmten Gebietes Steuern einziehen können und sie zu einheitlichen Dienstleistungen verpflichten; zum Beispiel zu Spanndiensten - zu Transporten mit Pferd und Wagen im Krieg. Im Laufe dieser Entwicklung wurden Herrenhöfe oft zu Wehranlagen ausgebaut oder durch sie ersetzt. So entstanden landesherrliche Burgen, deren Funktion in erster Linie darin bestand, als weithin sichtbares Machtsymbol den Herrschaftsanspruch des jeweiligen Landesherrn zu repräsentieren.

Anlass für den Bau der Kempener Burg war ein Wettlauf um die Herrschaft im Kempener Land. Wer das Land Kempen und die sich westlich anschließende Herrschaft Oedt besitzen sollte, darum konkurrierten im frühen 14. Jahrhundert der Kölner Erzbischof und eine Nebenlinie des regierenden klevischen Grafenhauses.

Ausgangspunkt ist, dass um 1311 Dietrich Luf (III.), ein Vetter des Grafen von Kleve, seine Burg in Oedt fertig stellt. Sie soll sein Stützpunkt zur Beherrschung des Oedter Verwaltungsgebietes sein. Dann bietet sich ihm ein Anlass, über die Oedter Grenzen hinaus ins Kempener Land überzugreifen.

Der Kölner Erzbischof Heinrich von Virneburg (1305-1322) braucht Geld; Dietrich Luf leiht es ihm 1314 und bekommt als Pfand die Herrschaft über Stadt und Land Kempen. Der Klever Edelherr hat seine provisorische Herrschaft über die Kempener zielstrebig genutzt, um seine Macht über Oedt hinaus auf das Kempener Land auszudehnen. Wohl um sich Anhänger zu verschaffen, sicherte er 1318 der Kempener Stadtbürgerschaft alle Rechte und Freiheiten zu, die ihr 1294 auch Erzbischof Siegfried von Westerburg gewährt hatte. 1320 versuchte er, wie es ihm auch schon in Oedt gelungen war, die mit reichen Einkünften verbundene Schutzherrschaft, den Patronat, über die Kempener Pfarrkirche in die Hand zu bekommen. Das konnte der Erzbischof mit Mitteln geistlicher Gerichtsbarkeit abwehren.

Einerseits demonstrierte der Klever Edelherr Dietrich Luf seine Herrschaft dadurch, dass er von den Kempenern außergewöhnliche Steuern einzog, wogegen der Erzbischof protestierte. Andererseits lieferte er den Kempenern einen Gnadenbeweis, indem er ihnen eine eigene Steuererhebung zur Finanzierung ihres Stadtmauerbaus gestattete, außerdem die Anlage zweier mit Pferden betriebener Rossmühlen. Kurz: Er gebärdete sich wie ein wirklicher Landesherr.

Heinrich von Virneburgs Nachfolger, Erzbischof Walram von Jülich (1322-1349), muss heilfroh gewesen sein, als er 1330 sein Kempener Territorium mit großer Anstrengung von Dietrich Luf zurück erwerben konnte. Die Vermutung liegt nahe, dass er jetzt - nach 1330 - als Zeichen seiner zurück gewonnenen Herrschaft und um weitere Bedrohungen abwehren zu können, seinen Kempener Fronhof zu einer Burg ausgebaut hat. Quasi eine Schutz- und Trutzburg im noch nicht abgeschlossenen Kampf um Land und Stadt Kempen. Denn erst, nachdem Erzbischof Walram am 5. Januar 1349 die Burg Oedt zurückgekauft hat, von der aus seine Kempener Herrschaft bedroht werden konnte, kann man von einem kurkölnischen Land Kempen sprechen, das fest zum Erzbistum Köln gehört und dessen Besitz durch keinen fremden Herrschaftsanspruch mehr streitig gemacht werden kann. Dazu passt, dass erstmals 1347 eine erzbischöfliche Burg in Kempen urkundlich überliefert ist. Sie muss demnach zwischen 1330 und 1347 erbaut worden sein und wäre jetzt fast 700 Jahre alt.

Diese Burg war nunmehr Sitz der erzbischöflichen Verwaltung und damit der Herrschaftsmittelpunkt des Kempener Landes. Es liegt nahe anzunehmen, dass sie an der Stelle des alten erzbischöflichen Fronhofs erbaut worden ist, also etwa 100 Meter entfernt von der damals im Wachsen begriffenen Stadt Kempen und ohne Verbindung zu deren früher Befestigung. Bei ihr muss es sich um eine für den flachen Niederrhein typische Niederungsburg gehandelt haben, von Wassergräben geschützt. Wie sie ausgesehen hat, wissen wir nicht, nur, dass sie bescheidener war als die stattliche Festung, die wir heute noch vor Augen haben.

Aber Reste von ihr haben sich noch erhalten - im Keller des heutigen, von 1396 bis 1400 errichteten Burggebäudes. Am 14. April dieses Jahres fand der Klever Burgenforscher Jens Wroblewski, vom Kreis Viersen im Rahmen der Burgvermarktung mit einem Baualter-Gutachten beauftragt, im Keller des Südwest- und Südostflügels Mauerwerk, bis zu drei Meter dick, aus auffallend großen Steinen. Die rot-orangefarbenen Ziegel mit ihrem weißgrauen Mörtel sind typisch für Backsteinbauten des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts. Da sie in beiden Flügeln auftreten, ist anzunehmen, dass die erste Kempener Burg - ähnlich wie das heutige Gebäude - ein Winkelbau war, auf dessen Grundmauern man die heute noch bestehende Anlage setzte. So hat sich aus dem Herrenhof des Erzbischofs über Jahrhunderte hinweg die heutige Burg entwickelt.

(Fortsetzung folgt)

(hk-)
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