Serie Vor 125 Jahren Am Anfang stand ein Waisenhaus

Kempen · Kempen feiert "150 Jahre Luise-von-Duesberg-Gymnasium". Der Anlass: Vor 150 Jahren - am 4. Februar 1867 - begann die erste Höhere Töchterschule vor Ort, von Ursulinen geleitet, ihren Unterricht. Über diese traditionsreiche Historie wird die RP in einer eigenen Serie berichten.

 Das zweite Schulgebäude, Vorster Straße 28, heute Nummer 8. Hierhin zog die gesamte Schule am 15. September 1911.

Das zweite Schulgebäude, Vorster Straße 28, heute Nummer 8. Hierhin zog die gesamte Schule am 15. September 1911.

Foto: Kreisarchiv

Im folgenden Beitrag soll die Rede von der Gründung der Schule sein, die die unmittelbare LvD-Vorgängerin war: Am 21. April 1892 - in dieser Woche vor 125 Jahren - nahmen die Schwestern Unserer Lieben Frau den Lehrbetrieb an der zweiten Töchterschule im Annenhof (Bild) auf, der seit 1928 den Namen "Marienheim" trug. Da lohnt ein Blick auf bisher unbekannte Zusammenhänge.

Die Schule, die im April 1892 im Annenhof mit ihrem Unterricht begann, war schon die zweite private katholische Mädchenschule in Kempen. Ihre Vorgängerin, von Ursulinen-Schwestern geleitet, hatte mit ihrem Unterricht am 4. Februar 1867 im Haus Engerstraße 53 (heute C&A) begonnen, doch sie bestand nur acht Jahre. Der Kulturkampf, in dem die preußisch-evangelische Regierung den Einfluss der katholischen Kirche im Deutschen Reich zurückzudrängen suchte, führte am 1. September 1875 zu ihrer Schließung. Wichtig aber: Die Schule der Ursulinen, die von 1867 bis 1875 bestand, begründete die Tradition gehobener Mädchenbildung. Deshalb feiert das frühere Mädchengymnasium - heute LvD - sein 150-jähriges Bestehen. Seit dem 4. Juni 1980 nennt es sich nach der Leiterin der 1867 gegründeten Ursulinen-Schule, der Schwester Hilaria, deren weltlicher Name Luise von Duesberg war.

Aber zwischen den beiden höheren Töchterschulen hat es doch bedeutsame Unterschiede gegeben. Die Schule der Ursulinen war durch die Initiative und durch Geldsammlungen von Frauen aus der Kempener Führungsschicht zustande gekommen. Sie wollten ihren Töchtern eine angemessene Bildung ermöglichen. Die Höhere Töchterschule der Schwestern Unserer Lieben Frau, die 1892 an der Oelstraße startete, stand hingegen im Zeichen einer Neuorganisation der katholischen Kräfte nach den Kränkungen und Einbußen, die diese im Kulturkampf erlitten hatten. Die Gründung der Schule war vom Vorstand der katholischen Gemeinde angeschoben worden, maßgeblich durch den damaligen Pfarrer Jakob Freudenhammer. Er wollte ein katholisches Erziehungssystem in Kempen aufbauen, wobei die Töchterschule nach Waisenhaus und Kindergarten in der Prioritätenliste erst den dritten Platz einnahm. Zugute kam ihm, dass die Stadt durch den Unterhalt der schon bestehenden Schulen finanziell stark in Anspruch genommen wurde. Den Plänen der katholischen Pfarrgemeinde für eigene Bildungseinrichtungen stimmte der Stadtrat gerne zu; einmal, weil er ebenfalls katholisch gesonnen war. Vor allem versprach er sich eine Entlastung im Erziehungssektor.

Erklärtes Ziel der Ordenskongregation Unserer Lieben Frau ist es, die christliche Botschaft an Kinder, vor allem an Mädchen, durch entsprechende Persönlichkeitsbildung weiter zu geben. Ein Motiv bei der Kempener Schulgründung war sicherlich, diesen hoch angesehenen Orden zur Stärkung der katholischen Sache nach Kempen zu holen, das heißt: den Schwestern Unserer Lieben Frau durch die Aussicht auf die von ihnen so geschätzte Erziehungsarbeit einen Anreiz zur Niederlassung zu bieten. Das bischöfliche Generalvikariat zu Münster sah den Zusammenhang, dass die Schwestern auch mit der Zusage auf eine eigene Schule in die Kreisstadt gelockt werden sollten, und es sah ihn nicht gerne. Entsprechend versah es seine Genehmigung für die Gründung einer Kempener Töchterschule der Schwestern Unserer Lieben Frau mit dem resignierenden Zusatz: "...wenn es nicht zu umgehen ist." - Mit seiner Skepsis stand das Generalvikariat nicht alleine da; Frauenbildung stieß damals noch auf Vorbehalte.

Das hohe Schulgeld - 60 Mark im Jahr - hat die Schülerzahl der neuen Anstalt zunächst klein gehalten: Sechs Jahre nach ihrer Gründung verzeichnete die zweite Töchterschule erst 38 Schülerinnen. Den Durchbruch brachte im Jahre 1909 im Rahmen einer staatlichen Bildungsreform die Umgestaltung der katholischen Ordensschule in ein Lyzeum, das in einer recht großzügigen Weise von der preußischen Schulaufsicht kontrolliert wurde und noch am ehesten einer Realschule ähnelte: Die erste Klasse setzte mit dem Erreichen des schulpflichtigen Alters ein, und der Abschluss der zehnten berechtigte unter anderem zum Besuch weiterführender Fachschulen, zum Beispiel einer Handelsschule für Mädchen. Der Lehrplan wurde ausgebaut, was die Anstalt attraktiver machte. Weltliche Pädagogen traten zu den Ordensschwestern; Staat und Stadt gewährten finanzielle Zuschüsse; das Schulgeld konnte ermäßigt werden und bemaß sich künftig nach Fleiß und Leistung. Die Schwestern Unserer Lieben Frau waren tolerant; sie unterrichteten nicht nur katholische Mädchen, sondern auch solche aus anderen Konfessionen wie die 1922 geborene Mirjam Honig, die letzte noch lebende Jüdin Kempens.

Schulträger blieb weiterhin die katholische Pfarrgemeinde, bis sie 1931 durch einen eigens gegründeten Schulträger-Verein abgelöst wurde.1925 erreichte das Lyzeum mit 276 Schülerinnen einen Höhepunkt seiner Entwicklung. Ab dem 1. Februar 1912 trug es den Namen: "Lyzeum Unserer Lieben Frau". Für diese stets größer werdende Schule reichten die Räume im alten Hospitalgebäude an der Oelstraße, in dem auch das Waisenhaus und der Kindergarten untergebracht waren, nicht mehr aus. Zum neuen Quartier wurde an der Vorster Straße das 1869 errichtete Haus des verstorbenen Notars Maximilian Meckel. In dessen Familie war die Förderung der Mädchenbildung Tradition: die Frau des Notars hatte bereits die Gründung der 1867 errichteten Ursulinen-Schule unterstützt. Zunächst wurden hier Privaträume angemietet. Dann kaufte der Schulträger, also die Pfarrgemeinde, das Haus von Meckels Tochter Minna. 1911 zog die ganze Schule hier ein. Hier blieb das Lyzeum, bis es 1932 in das ehemalige Knaben-Konvikt gegenüber der Burg wechselte - in das einstige Internat der von auswärts kommenden Schüler, die das Gymnasium Thomaeum besucht hatten, das bis 1925 in der Burg untergebracht war. In Erinnerung an den Schutzherrn des Thomaeums nannte die Schule sich nun "Thomas-Lyzeum". Der Grund für den Umzug: Um die Forderung nach Fachräumen, wie die moderne Pädagogik sie verlangte, zu erfüllen, war das Schulgebäude an der Vorster Straße doch zu klein.

1933 kommen die Nationalsozialisten an die Macht. In ihrem Staat ist für konfessionelle Schulen kein Platz. Zum 1. April 1938 wird das Thomas-Lyzeum mit seinen 125 Schülerinnen in eine "Deutsche Oberschule für Mädchen" umgewandelt und von der Stadt übernommen. Nach 45-jähriger Tätigkeit werden die Ordensschwestern durch weltliche Lehrkräfte ersetzt. Ostern 1938 müssen sie ihr Lyzeum verlassen. Dem nationalsozialistischen Frauenbild entsprechend und in Absprache mit den Eltern legt die neue Oberschule ihren Schwerpunkt auf den hauswirtschaftlichen Unterricht. Ein Durchbruch: Ab Oktober 1939 können die Schülerinnen sich auf das Abitur vorbereiten. 1941 findet die erste Reifeprüfung statt. Indes: Frauen wird der Studienzugang nur erleichtert, weil infolge des Krieges "Not am Mann" ist. Sie sind Lückenbüßer, und ihre Karrierechancen sind nach wie vor gering.

Im Krieg wird das Schulgebäude an der Burg durch Bomben beschädigt. Die "Städtische Studienanstalt mit Lyzeum", so der Nachkriegsname, weicht in das alte Gebäude an der Vorster Straße aus, dann in die Mädchenvolksschule am Hessenring, bis es am 30. Oktober 1948 an den Moorenring zurückkehrt. Aber das alte Schulhaus ist baufällig, und im Dezember 1966 zieht das "Städtische Neusprachliche Gymnasium", wie es sich seit 1950 nennt, in einen Neubau, Berliner Allee 42, der Offenheit und Helligkeit ausstrahlt.

In der nächsten Folge: Miteinander - füreinander: Die Siedlungsgemeinschaft Kamperlings

(hk)
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