Kempen Dem Serienmörder alles entlockt

Kempen · Wer die Geschichte der Schiffsmodelle auf dem Schreibtisch des Polizei-Ermittlers hört, muss schlucken. Denn die Boote hat ein berüchtigter Serienmörder gebastelt - zwischen den langen Verhören im Gladbacher Präsidium.

Es gab und gibt Kollegen, die nicht verstehen, warum der Erste Kriminalhauptkommissar Hennes Jöris die alten Modell-Boote nicht damals schon längst aus seinem Büro verbannt hatte. Schließlich, so argumentieren sie, stammen sie von einer "Bestie", einem Serienmörder, der sechs Menschen tötete, um sie anschließend auszuweiden.

Hennes Jöris sieht die Boote, die Kurt S. aus Tausenden von Streichhölzern bastelte, ganz anders. Für den 65-Jährigen sind sie keine "Gruselrelikte", sondern Zeichen eines Erfolgs: Ihm offenbarte der Serienmörder zum ersten Mal die dunkelsten Seiten seines Lebens.

Dabei hatte am 4. Februar 1984, am Tag der Festnahme, noch niemand geahnt, was der damals 22-jährige Kurt S. alles getan hatte. "1984 waren wir eigentlich auf der Suche nach einem Insassen der Psychiatrie in Süchteln, der seit längerem verschwunden war. Wir hatten nur zwei Hinweise. Kurt S., der ebenfalls in dieser Klinik war, hatte einer Schwester gegenüber erklärt: Der Willi ist tot. Und: Kurt S. sollte Willis Uhr haben." Die Mönchengladbacher Polizei entschloss sich, Kurt S. an seinem neuen Aufenthaltsort in Willich aufzusuchen. Doch in der Vernehmung erklärte Kurt S. immer wieder, er habe die Uhr von Willi geschenkt bekommen. Ansonsten wisse er nicht, was mit seinem ehemaligen Mitinsassen passiert sei.

Trotzdem nahmen ihn die Polizisten mit nach Mönchengladbach und steckten ihn in Gewahrsam. "Als ich ihn abends in der Zelle aufsuchte, saß er zusammengekauert unter einer Decke und heulte bitterlich. Er sagte immer wieder, er wolle seine Sachen haben, seinen Koffer und sein Radio. Ich beruhigte ihn: Morgen holen wir deine Sachen. Und dann fragte ich noch einmal: Was hast du mit Willi gemacht? Und plötzlich entgegnete er: Wenn ich morgen meine Sachen bekomme, dann erzähle ich euch sogar, was ich mit dem englischen Jungen gemacht habe."

Hennes Jöris traute seinen Ohren nicht. Denn er war dabei, als man 1978 in Willich hinter einem Bahnhofsgelände einen völlig zerstückelten, zwölfjährigen Jungen gefunden hatte. Doch für diesen Mord saß schon jemand anderes im Gefängnis. Ein Justizirrtum, oder log Kurt?

In den wochenlangen Verhören schilderte Kurt S. Jöris alle seine Morde minuziös. "Er führte uns zu einem Ort, wo noch eine Leiche begraben war. Er malte Waldwege exakt auf und konnte sich an viele Details erinnern", sagt Jöris. Zur Rekonstruktion wurden zum Teil Tatorte maßstabsgetreu nachgebaut.

Es stellte sich heraus, dass Kurt S. zum ersten Mal mordete, als er 16 Jahre alt war. Hennes Jöris konnte dem Serientäter alles entlocken. Warum er tötete? "Weil ich wissen wollte, wie ein Mensch von innen aussieht."

"Abneigung darf man solchen Tätern gegenüber nicht zeigen, sonst sind die Schotten dicht", sagt Jöris. So bekam Kurt S. auch die abgebrannten Streichhölzer, um daraus Schiffsmodelle zu basteln, die lange auf Hennes Jöris' Schreibtisch im Präsidium standen und von denen er eines noch heute bei sich zu Hause hat: ein Geschenk von Kurt. S.

(RP)
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