Kempen Der Marienraum im Museum

Kempen · Marien- und Christusdarstellungen aus mehr als 500 Jahren erzählen im Kaiser-Wilhelm-Museum von unterschiedlichen künstlerischen Umsetzungen biblischer Themen und einem veränderten Frauenbild. Es ist der zurzeit spannendste Raum.

Das Neugeborene auf dem Schoß der Mutter ist pausbäckig und wohlgenährt. Sternenlicht umglänzt seinen Kopf wie eine Gloriole. Es ist ein besonderes Kind in einem besonderen Bild, auf dem viel Volk unterwegs ist: Aus fernen Welten sind Kaspar, Melchior und Balthasar gekommen, etliche Hirten und Leute aus dem Volk, die diese Geburt feiern wollen. Sie alle geben dem etwa quadratmetergroßen Ölgemälde eine Feierlichkeit, die sich über Jahrhunderte erhalten hat. Der Niederländer Aertgen van Leyden hat "Die Anbetung der Heiligen Drei Könige" 1536 gemalt. Die Szene wirkt hinein in den ganzen Raum des Kaiser-Wilhelm-Museums, der seit der Wiedereröffnung den heimlichen Namen "Marienraum" trägt.

Hier geht das Ausstellungskonzept, Werke aus verschiedenen Epochen, die stilistisch gegensätzlich wirken, in eine Verbindung zu setzen und Spannungen aufzubauen, auf die gelungenste Weise auf. Es ist der schönste Raum im KWM. Erst recht in diesen Tagen. Hier verbindet die Ausstellung "Das Abenteuer unserer Sammlung" Marien- und Christusthemen aus mehr als 500 Jahren - von Derick Baegert (um 1440 - ca. 1515 in Wesel) bis zur deutsch-amerikanischen Gegenwartskünstlerin Kiki Smith (geboren 1954). Eine weihnachtlich-festliche Stimmung geht von diesem Raum aus, in dem Blattgold auf kühles Aluminium treffen, Gottesgläubigkeit auf kritische Auseinandersetzung mit der Schöpfung. Und dabei begegnet dem Betrachter in acht Kunstwerken ein fassettenreiches, sich stark wandelndes Frauenbild. Wer sich einmal um die eigene Achse dreht, versteht, wie vielschichtig die Schöpfung als zentrales Thema in Kunst und Religion behandelt wird.

Und erlebt, wie sich das Frauenbild wandelt: Bis zum späten Mittelalter ist die Frau die traditionelle Mittlerin der Frohen Botschaft die Hegerin des Gottessohnes. Im 21. Jahrhundert setzt die in New York lebende Künstlerin Kiki Smith der biblischen Verkündigung die künstlerische Idee entgegen. Ihre "Verkündigung" ("Annunciation") gilt einer androgynen Frau aus kühl glänzendem Aluminium mit ausgestreckter, geöffneter Hand, die auf einem Holzschemel sitzt. Das Gesicht wirkt wie in Trance, verrät weder Erwartung noch Überraschung. Ein goldener Vogel, der zwischen den Metallstäben eines gesprengten Käfigs fliegt, ist der Bote, eine Inspiration - und gleichzeitig Symbol einer Befreiung.

Beide Arbeiten waren 2008 in der Kiki-Smith-Ausstellung im Haus Esters erstmals zusammen ausgestellt - als Herzstück einer Bilderzählung eines Frauenlebens. "In der Herleitung künstlerischer Inspiration aus der Marianischen Empfängnissymbolik gelingt Kiki Smith eine Neuinterpretation der in der älteren Künstlerbiografik verwurzelten Vorstellung vom Künstler als ,alter deus'. Während dort ausschließlich der männliche Künstler gottbegabt ist, also von der inneren Schau, die die Inspiration ist, getragen wird, entwickelt Smith aus ihrer intensiven Kenntnis mittelalterlicher Kunst heraus das weibliche Gegenstück des inspirierten Künstlers", hat der damalige Museumsdirektor Martin Hentschel dazu gesagt.

Wer der Hand der Figur mit dem Blick folgt, landet bei der Holzskulptur "Anna Selbdritt". Sie entstand um 1500 - zu der Zeit, als auch Leonardo da Vinci sein berühmtes Gemälde "Anna Selbdritt" schuf - und wird der Werkstatt des Maastrichter Meisters Jan van Steffeswert zugeschrieben.

"Anna Selbdritt" bezeichnet in der christlichen Ikonografie die Dreiheit von Maria, ihrer Mutter Anna und dem Jesuskind. Neben der Gottesmutter gehört Anna als Mutter Marias zu den wichtigsten Heiligen des Mittelalters. Aus der Lehre, dass Maria unbefleckt und ohne Erbsünde geboren sei, wuchs die Verehrung für deren Mutter Anna, der Großmutter Jesu. Maria wirkt mit dem offenen Haar und dem in Mariendarstellungen unverzichtbaren blauen Mantel mädchenhaft. Die Mutter ist mit der großen Haube deutlich als verheiratete Frau dargestellt. Sie hält ein geöffnetes Buch in den Händen, das als Symbol für den Beginn der Heilszeit gängig war und den Beginn einer neuen Epoche symbolisiert.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort