Stadt Kempen Die Rezitatoren sind nach jahrelanger Pause wieder voll da

Stadt Kempen · In der voll besetzten "Haltestelle" begeisterte das Kempener Rezitations-Ensemble sein Publikum. Von seinen treuen Fans wurde es mit viel Applaus bedacht worden.

 Comeback des Rezitationsensembles (von links): Jörg Mielke, Hans-Egon Kasten, Ursel Kozok und Markus Lunau.

Comeback des Rezitationsensembles (von links): Jörg Mielke, Hans-Egon Kasten, Ursel Kozok und Markus Lunau.

Foto: wolfgang kaiser

Es hat lange gedauert, bis das Kempener Rezitations-Ensemble wieder die Bühne erklommen hat. Aber, das zeigte der Auftritt, die Auszeit hat dem Ensemble überhaupt nicht geschadet. Immer noch ist die Vertrautheit miteinander zu spüren, und man freut sich, den Leiter Hans-Egon Kasten endlich wieder in der vertrauten körperlichen und geistigen Frische zu sehen. Ihr Publikum haben sie in der langen Wartezeit nicht verloren. Schaute man sich um in der mehr als ausverkauften "Haltestelle", sah man lauter vertraute Gesichter aus früheren Veranstaltungen.

Balladen und Moritaten hatten sich die Rezitatoren vorgenommen. Diese Gedichtform ist eigentlich schon fast vergessen. Komplexe Inhalte in Reimform zu packen, ist dabei eine Kunst, die in Deutschland vor allem im späten 18. Jahrhundert sehr beliebt war. Die Themen sind dabei weit gefächert. Es geht bis in die Antike zurück, dann wiederum wird ein Text auch zeitkritisch. Aber es gibt auch hinreißende Liebeslieder. Und der Spott kommt auch nicht zu kurz. Das machte es den Rezitatoren natürlich leicht, einen kurzweiligen Morgen zu gestalten.

Herein stürmt Kasten: "Trallala! Lasst mich herein den Alten, ich singe wie ein Vogel." Damit spielt Kasten auf den Ursprung der Balladen an. Denn sie waren ursprünglich die Lieder der Troubadoure. Eine Überraschung enthält gleich die erste Ballade von Johann Wolfgang von Goethe mit der Geschichte einer tragisch ausgehenden Flut am Strom. Aber wer wusste schon, dass Goethe seinem Text eine Ehrung von Johanna Sebus voransetzte. Diese Kleverin bezahlte den Rettungsversuch von Nachbarn mit ihrem Leben.Und noch einmal wurde es tragisch. Conrad Ferdinand Meyer schrieb mit den "Füßen im Feuer" einen angst machenden Text über die Verfolgung der Hugenotten, der französischen Protestanten, vor der Revolution. Und so arbeiten sich die vier auf der Bühne durch die Lesebücher vieler Schülergenerationen. "Der Erlkönig", "Archibald Douglas", "Herr Ribbeck von Ribbeck auf Havelland" und vieles mehr haben sie sich ausgesucht.

Aber dies wird kein trockener Lehrstoff. Denn gerade die Unterschiedlichkeit der Stimmen und der Charaktere auf der Bühne macht den Reiz aus. Oft zitieren sie im Dialog. Markus Lunau kann dabei sein komödiantisches Talent ausleben. Jörg Mielke ist eher der zurückhaltende Leser. Dazu kommt dann als Kontrapunkt die vielseitige Ursel Kozok. Sie beherrscht von heiter bis lyrisch alle möglichen Nuancen. Kasten hält sich zu diesem Zeitpunkt meist bis auf wenige Passagen zurück. Dann aber kommt zum Schluss sein Glanzstück, auf das wohl viele auch gewartet haben. Er rezitiert hinreißend Goethes "Zauberlehrling". Das macht er so packend, dass man die Not des Jungen, der die Geister, die er rief, nicht mehr los wird, fast körperlich spürt.

Zwei gesungene Balladen von Bertolt Brecht rundeten den Morgen ab. Neben reichlichem Applaus gab es von den Zuhörern immer wieder die Aufforderung, doch nicht mehr so lange bis zum nächsten Auftritt zu warten.

(sr)
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