Kreisarchivar Michael Habersack Die Zukunft für die historischen Schätze

Kempen · In drei Jahren wird das Kreisarchiv von Kempen in einen Neubau in Dülken ziehen. Mit ihm zieht das Stadtarchiv Kempen um, das im Kreisarchiv eine eigenständige Abteilung bildet. Der Kreisarchivar erläutert die Zukunftsperspektiven.

 Michael Habersack leitet das Kreisarchiv in der Kempener Burg erst seit Mitte Juli vergangenen Jahres. Er soll den Neubau in Dülken samt Umzug von Kempen dorthin organisatorisch begleiten und die Umstrukturierung des Archivs vorantreiben.

Michael Habersack leitet das Kreisarchiv in der Kempener Burg erst seit Mitte Juli vergangenen Jahres. Er soll den Neubau in Dülken samt Umzug von Kempen dorthin organisatorisch begleiten und die Umstrukturierung des Archivs vorantreiben.

Foto: Kaiser

Anfang 2021 wird das Kreisarchiv in seinen Neubau in Dülken umziehen. Schwer vorstellbar für einen Laien, wie Millionen von Schriftstücken, die aneinandergereiht eine Länge von sechseinhalb Kilometern ergeben würden, ein neues Zuhause finden sollen, ohne dass ihre penible Ordnung verloren geht.

Habersack Die Umzugsvorbereitung ist ein wichtiger Teil unserer aktuellen Arbeit. Wenn der erste Schritt, die Planung, abgeschlossen sein wird, werden wir genau wissen, welcher Karton in welchem Magazin und in welchem Regal des Neubaus stehen wird. Beim Umzug selbst wird ein genauer Abgleich sicherstellen, dass nichts verloren geht. Besonders empfindliche Unterlagen werden stoßsicher verpackt. Hier haben wir durch unsere Restauratorin auch die nötige Kompetenz im Haus.

Am 6. September 1984 schloss die Stadt Kempen mit dem Kreis einen so genannten Depositalvertrag. Paragraph 2 legt fest, dass das Stadtarchiv eine eigenständige Abteilung im Kreisarchiv bleiben soll. Das heißt ...

Habersack ... dass das "Stadtarchiv Kempen" eine hierarchisch geordnete, eigene Bestandsobergruppe des Kreisarchivs ist und bleibt. Diese Abteilung bildet also archivfachlich die Klammer der zusammengehörigen Kempener Bestände. Das gilt auch für die Bestände, die beispielsweise durch Schenkungen dazu kommen.

Das Kreisarchiv bleibt das zuständige Archiv der Stadt Kempen im Sinn des Archivgesetzes. Für die Zusammenarbeit bedeutet das in Zukunft...

Habersack ... dass wie bisher die Stadt Kempen verpflichtet ist, alle Unterlagen, die zur Aufgabenerfüllung nicht mehr benötigt werden, dem Kreisarchiv anzubieten. Das Kreisarchiv führt dann eine Bewertung durch und übernimmt die archivwürdigen Schriftstücke. Wie flüssig das Angebot und die Abgabe dieser Unterlagen funktioniert, liegt stark an den abgebenden Stellen der Stadt. Von der Stadt Kempen haben wir gerade wieder Unterlagen übernommen.

Im Zeitungsarchiv des Kreisarchivs befinden sich viele Kempener Ausgaben. Wird sich das ändern?

Habersack Nein. Das Kreisarchiv dokumentiert das gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Leben im Kreis mit einem umfassenden Anspruch. Dazu gehören auch die Zeitungen. Schon jetzt sammelt das Kreisarchiv beispielsweise die im Kreis Viersen erscheinenden Tageszeitungen wie die Rheinische Post oder die Kirchenzeitung für das Bistum Aachen in der Ausgabe Kempen-Viersen. Die Nutzbarkeit der älteren Zeitungen - Intelligenzblatt, Kempener Wochenblatt und andere - wird sich in Zukunft für die Kempener Benutzer sogar verbessern. Denn das Kreisarchiv beteiligt sich an einem Projekt der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, in dem verfilmte Zeitungen digitalisiert und im Internet bereitgestellt werden. Unser Zeitungsbestand ist derzeit an der Reihe.

Die Kempener Burg war als Archiv aus verschiedenen Gründen wie Raumklima, Brandschutz, Barrieren kein idealer Archivstandort. Haben die Archivalien darunter gelitten?

Habersack Wir erstellen derzeit ein Schadenskataster für den Gesamtbestand. Schon jetzt ist klar: der Restaurierungsbedarf ist erheblich. Das liegt aber auch an den archivierten Unterlagen selbst. Papiere ab ca. 1850 enthalten und bilden Säuren, die sie zerfressen. Dieser im Papier enthaltene Zerfallsfaktor wirkt um so stärker, je ungeeigneter die Unterbringung ist. Wir haben aber im Gegensatz zu kleineren Einrichtungen die Möglichkeit, in einer eigenen Restaurierungswerkstatt einen Teil der Arbeiten selbst durchzuführen. Bestimmte Maßnahmen wie die Entsäuerung größerer Bestände können wir wirtschaftlich aber nur von Dienstleistern erledigen lassen. Unter dem mangelnden Brandschutz leidet das Archivgut natürlich nicht, solange nichts passiert. Wenn aber etwas passiert, bedeutet das Totalverlust und jeder würde nachher fragen: "Wieso gab es keinen besseren Brandschutz?" Das ungeeignete Raumklima, das in vielen Räumen der Burg herrscht, beschleunigt die Papieralterung. Die Unterlagen sind natürlich nicht weg, aber wir müssen zu ihrer Erhaltung mehr investieren als in einem Neubau. Die billigste Erhaltungsmaßnahme ist einfach eine gute Lagerung. Dann ist da noch die fehlende Barrierefreiheit in der Burg. Sie erschwert die Arbeit im Archiv, sie ist vor allem ein Problem für Nutzer mit Rollator, Rollstuhl oder Gepäck.

Das Kreisarchiv hat in den vergangenen Jahren Kontakte zu Kempener Schulen aufgebaut. Gibt es angesichts der schwierigen Bedingungen im Öffentlichen Personennahverkehr Konzepte, wie diese Verbindungen aufrecht erhalten werden können?

Habersack Mit dem Linienverkehr würde es von Kempen aus nach Dülken tatsächlich schwieriger. Mit einem eigens bereitgestellten Bus wird der zeitliche Zusatzaufwand gegenüber dem Fußweg schon deutlich geringer und der Archivbesuch hätte noch stärker den Charakter des Besonderen an einem außerschulischen Lernort. Daneben werden wir vom Kreisarchiv für Projektkooperationen aber auch in die Schulen gehen. Wir haben darüber schon mit Lehrern des Gymnasiums Thomaeum gesprochen und sind auf beiden Seiten optimistisch, dass die gute Zusammenarbeit sich weiter fortsetzen lassen wird. Allein in den nächsten Wochen werden wir etwa 80 Kempener Schüler im Kreisarchiv haben.

Wie kann man der Stadtgeschichte mit Hilfe der Archive einen größeren Stellenwert im Unterricht verschaffen?

Habersack Indem wir die Schüler altersgerecht etwas entdecken lassen. Für kleinere kann es das Erlebnis sein, eine mehrere hundert Jahre alte Pergamenturkunde sehen und vorsichtig berühren zu dürfen oder mit einem so genannten Typar, einem Siegelstempel, selbst ein Siegel unter einen Text zu setzen - natürlich nicht auf Archivgut! In den weiterführenden Schulen können wir dagegen mit unserer Plakatsammlung, mit der Fotosammlung und auch mit Akten arbeiten. Ich würde mir wünschen, dass das Archiv auch in anderen Fächern als Geschichte wahrgenommen wird, zum Beispiel im Politikunterricht oder mit Texten der britischen Nachkriegs-Militärverwaltung im Englisch-Unterricht. Indes hängt die Kooperation mit den Schulen ganz wesentlich vom Interesse und Engagement einzelner Lehrer ab. Wir haben das Glück, in Kempen mit einigen sehr interessierten Lehrern kooperieren zu können.

Können Sie sich gemeinsame Projekte mit Kempener Kultureinrichtungen vorstellen?

Habersack Selbstverständlich. In Viersen kooperieren wir schon mit der dortigen Stadtbibliothek, und in Kempen haben wir einen guten Kontakt zum städtischen Kramer-Museum. Das könnte sich auch in konkreten Projekten manifestieren.

Jakob Hermes, Stadtarchivar von 1966 bis 1984, sprach von seinem Stadtarchiv als "Blume, die im Stillen blüht". Die Besucherzahlen in der Burg waren mäßig. Was kann man tun, um die Kempener für ihr Archiv in Dülken zu interessieren?

Habersack Ein bisschen Ferne tut gerade Kultureinrichtungen oft ganz gut, um wahrgenommen zu werden. Der Kempener Geschichts- und Museumsverein bietet dieses Jahr zum Beispiel eine Fahrt zur Rubens-Ausstellung nach Frankfurt an. Dagegen sind die Museen am eigenen Wohnort doch häufig die, die man nicht kennt, obwohl oder weil man jeden Tag hingehen könnte. Das Interesse der Kempener an einem Besuch im Kreisarchiv wird durch den Umzug eher steigen als sinken. Außerdem werden wir in zunehmendem Maß veröffentlichungsfähige Unterlagen wie die Zeitungen online bereitstellen.

Stichwort "online": In Kempen ist vorgeschlagen worden, bestimmte Bestände des Kreisarchivs zu digitalisieren, damit der interessierte Bürger sie vor Ort am Bildschirm einsehen kann, ohne nach Dülken fahren zu müssen. So könnte der Wegzug aus Kempen leichter zu verschmerzen sein.

Habersack Neben den Zeitungen werden wir auch weitere Bestände digitalisieren, bei denen das sinnvoll ist. Begonnen haben wir schon. Und wir werden digitalisierte Bestände, bei denen es rechtlich geht, auch online zur Verfügung stellen. Ich würde mich aber auch am neuen Standort über Nutzer aus Kempen im Lesesaal freuen.

Werden Sie in Dülken etwas in Kempen vermissen?

Habersack Ja, dreierlei: die Möglichkeit, mit einem Schaukasten am Hauptparkplatz der Innenstadt viele Menschen unaufdringlich, aber wirkungsvoll zu erreichen; die Kreppel, also die Berliner, der Bäckerei Weidenfeld. Und dann natürlich ganz privat die Burg mit ihren verwinkelten Ecken und Treppchen.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE HANS KAISER

(hk-)
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