Stadt Kempen "Ein Lehrstück der Verrohung"

Stadt Kempen · Bei der kreisweiten Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz sprach Ludger Joseph Heid über die Wannsee-Konferenz im Jahr 1942. Auch an der Stele am Rathaus in Kempen wurde erinnert.

 Der Historiker Privat-Dozent Dr. Ludger Joseph Heid wurde von Kreisdirektor Ingo Schabrich im Kulturforum Franziskanerkloster begrüßt.

Der Historiker Privat-Dozent Dr. Ludger Joseph Heid wurde von Kreisdirektor Ingo Schabrich im Kulturforum Franziskanerkloster begrüßt.

Foto: Wolfgang Kaiser

Er sei ein Freund klarer Worte, sagte Privat-Dozent Dr. Ludger Joseph Heid am Samstagabend nach seinem Vortrag zum Holocaust-Gedenktag im kurzen Gespräch mit unserer Zeitung. Dies stimmt. Gerade deshalb beeindruckte sein Vortrag über die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 die zahlreichen Besucher im Rokokosaal des Kulturforums Franziskanerkloster so sehr. Dies war wie in jedem Jahr die Auftaktveranstaltung zum ersten Semester der Kreisvolkshochschule und ist die kreisweite Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz. Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hat diesen Tag, der bundesweit immer am 27. Januar begangen wird, eingerichtet.

Heid führte sein Publikum zunächst vorsichtig in die Geschichte ein. Alles begann mit der sogenannten Arisierung jüdischer Geschäfte und Immobilien. Davon profitierten viele, auch ein so bekannter Schauspieler wie Heinz Rühmann. An der Adresse "Am großen Wannsee" Nummer 56 bis 58 befand sich eine Villa, die den Nationalsozialisten als Gäste- und Schulungshaus diente. Dort trafen sich am 20. Januar 1942 hochrangige Vertreter des Staates, aus der Justiz und dem Militär, um die Abwicklung des Holocausts zu besprechen.

Dabei ging es nicht mehr um die Entscheidung, sämtliche Juden zu deportieren oder zu ermorden, sondern es ging um das "Wann, Wie und Wo der Vernichtung", wie es Heid ausdrückte. Adolf Hitler hatte schon am 12. Dezember 1941 ganz deutlich gesagt, dass die Juden Auslöser des Krieges seien und vernichtet werden müssten. Nun traf sich hier, so Heid, ein "akademischer und ehrgeiziger Zirkel" von Menschen, die dies genau planten. Sie seien fest davon überzeugt gewesen, "auf legale Weise den deutschen Lebensraum von Juden zu räumen". Die Herren waren sich in der Sache so einig, dass sie für die Details nur wenig Zeit benötigten und anschließend ein Frühstück und hochprozentige Getränke genossen.

 Kempens Bürgermeister Volker Rübo ging in seiner Rede an der Stele vor dem Rathaus auch auf die AfD ein.

Kempens Bürgermeister Volker Rübo ging in seiner Rede an der Stele vor dem Rathaus auch auf die AfD ein.

Foto: Kaiser Wolfgang

Es ist schon zynisch, dass keiner der Anwesenden nur einen Funken Unrechtsbewusstsein dabei hatte, dass es hier um die Zerstörung von Millionen Existenzen und den geplanten Tod der jüdischen Mitbürger ging. Zu Skrupel oder Zweifeln an der Richtigkeit gebe es keinerlei Hinweise im einzig verbliebenen Protokoll der Sitzung, sagte der Historiker. Dies sei "ein Lehrstück der Verrohung". Der Staat habe die abstoßende Fratze gezeigt. Und dies ausgerechnet in einem Land, welches eigentlich stolz auf hoch entwickelte geistige Elite sein konnte.

Erschreckend war dann auch, dass die Täter mit ihrer Meinung, dass ihnen nichts passieren konnte, recht behielten. Wenn sie überhaupt nach dem Zweiten Weltkrieg vor Gericht landeten, fielen die Strafen gering aus. Ein paar Jahre Haft für die einen, eine Geldstrafe für die anderen. Fast alle bekleideten in den Nachkriegsjahren hochrangige Posten in Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft.

Der Vortrag von Heid belegte, was zuvor Kreisdirektor Ingo Schabrich in seiner Begrüßung wie auch Bürgermeister Volker Rübo beim Gedenken an der Stele am Rathaus gesagt hatten. Gerade in den heutigen Zeiten dürfe dieser Tag nicht zum bloßen Ritual werden, sondern müsse immer wieder aufrütteln. Schabrich betonte, dass Auschwitz im kollektiven Gedächtnis erhalten bleiben müsse. Sehr deutlich war Rübo zuvor in seiner Rede am Rathaus auf die AfD und deren Äußerungen gegen Bürger mit Migrationshintergrund und Flüchtlinge eingegangen. Auch erinnerte er an die Verlegung der Stolpersteine kürzlich in der Schulstraße. Schüler hatten die Veranstaltung vorbereitet. Gemeinschaftsbildendes Erinnern, wie die Schüler es gezeigt hätten, sei wichtig, so der Bürgermeister.

(sr)
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