Kempen Ein Richter ohne Robe

Kempen · Bundesweit werden derzeit Schöffen gesucht. Berthold Bauer aus Brüggen begleitet Prozesse am Landgericht Krefeld.

 Berthold Bauer vor dem Landgericht: Er ist seit fünf Jahren Schöffe in Krefeld. Das Amt sei eine Erfüllung, sagt der Brüggener.

Berthold Bauer vor dem Landgericht: Er ist seit fünf Jahren Schöffe in Krefeld. Das Amt sei eine Erfüllung, sagt der Brüggener.

Foto: Thomas Lammertz

Berthold Bauer fühlt sich noch fit. "Körperlich und auch geistig", sagt der Mann aus Brüggen, der bald seinen 70. Geburtstag feiert. Für sein Ehrenamt wird sein hohes Alter jetzt zum Problem. In diesem Jahr wird Bauer zum letzten Mal als Schöffe in der sechsten kleinen Strafkammer des Landgerichts Krefeld sitzen. So sieht es das Gesetz vor. Wer in Deutschland das Amt des Laien-Richters annehmen will, muss jünger als 70 Jahre sein. Fünf Jahre saß Bauer in Verhandlungen, lauschte den Aussagen von Zeugen, bewertete Wahrheit und Lüge der Angeklagten und entschied gemeinsam mit den Berufsrichtern über das Strafmaß - völlig ohne juristische Ausbildung, dafür mit großer Menschenkenntnis. Bauer war die Stimme des Volkes. Bald endet seine Verpflichtung am Gericht, neu bewerben darf er sich nicht. Er ist zu alt. "Das ist schade, ich hätte gerne noch weitergemacht. Vor allem Rentner und Pensionäre haben im Ruhestand ja Zeit." Aber so ist das Recht nun mal: nicht immer auch gerecht. Und wegen des Rechts ist der 69-Jährige ja schließlich hier.

Berthold Bauer sitzt in der Gerichtskantine und schüttet sich eine Flasche Apfelsaftschorle ins Glas. "Schöffe sein ist ein wunderbares Amt. Ich kann nur jedem empfehlen, über eine Bewerbung nachzudenken", sagt er. Das Interesse für die Justiz kam bei Bauer, der früher als Manager für ein großes deutsches Unternehmen arbeitete, erst spät. "Vor einigen Jahren hat mich ein befreundeter Richter regelmäßig als Zuschauer zu ein paar spannenden Prozessen nach Mönchengladbach eingeladen." Direkt habe Bauer sich dem Recht verbunden gefühlt, die Plädoyers von Verteidigern und Staatsanwälten intensiv verfolgt, Zeugen und Angeklagte beobachtet - und war immer wieder erstaunt, auf welche Ideen die mutmaßlichen Täter kamen. "In den Prozessen ging es um ganze Schicksale - von Angeklagten und Opfern."

2013 hat Bauer dann erfahren, dass die Gerichte in Deutschland wieder Schöffen suchen. "Ich wusste sofort: Das will ich machen." Er meldete sich in seiner Gemeinde, die ihn auf eine Vorschlagsliste setzte. Aus der wählte ein Ausschuss des Amtsgerichts die Schöffen für die nächsten fünf Jahre aus. "Es gibt aber einige Voraussetzungen", sagt Bauer. So muss ein Schöffe deutscher Staatsbürger, mindestens 25 Jahre alt sein und darf das 70. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Wer hoch verschuldet, vorbestraft oder Beamter der Justiz ist, wird nicht berücksichtigt. Bezahlt werden Schöffen nicht. Sie bekommen eine Aufwandsentschädigung und werden vom Arbeitgeber für die Zeit bei Gericht freigestellt.

"Ich habe mich immer ernstgenommen gefühlt, auch in den Beratungen vor der Urteilsverkündung", sagt Bauer. Einmal habe er den Vorsitzenden Richter sogar überzeugen können, weil er das Strafmaß für zu niedrig hielt. "Wir Schöffen haben das gleiche Stimmrecht wie ein Berufsrichter", sagt Bauer. In den kleinen Strafkammern können die beiden Schöffen den Richter sogar überstimmen. "Das kommt meiner Erfahrung nach aber kaum vor", sagt Bauer. Bei seiner ersten Verhandlung merkte der 69-Jährige, dass Gerichtsprozesse "nichts mit Richter Alexander Hold aus dem Fernsehen zu tun haben". Es gehe gesittet zu im Saal. Ein Fall ist Bauer besonders in Erinnerung geblieben: "Eine junge Frau, die Mann und Kind hatte, legte Berufung gegen ein Urteil wegen eines Rauschgiftdelikts ein. Sie hatte ihr Leben völlig umgekrempelt, eine Therapie gemacht und sich etwas aufgebaut. Das hat mich beeindruckt."

Mit Zweifeln hat Bauer den Gerichtssaal noch nie verlassen. Dass einem Angeklagten während seiner Zeit großes Unrecht widerfahren sei, glaubt er nicht. "Am Ende des Tages darf man die Opfer nicht vergessen", sagt er. Im nächsten Jahr muss Bauer sein Amt aufgeben. Den Glauben an die Gerechtigkeit wird er nicht verlieren. In Brüggen ist Bauer Schiedsmann - und darf es bleiben. Egal, wie alt er ist.

(atrie)
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