Kempen "Eine Landschaft von stiller Schönheit"

Kempen · Wie Schriftsteller um 1800 den Niederrhein erlebten, schilderte Irmgard Hantsche auf Einladung des Heimatvereins

Um die halbe Welt war der Naturforscher und Völkerkundler Georg Forster schon in jungen Jahren gefahren, ehe er als 36-Jähriger an den Niederrhein aufbrach. Hatte er bei der zweiten Weltumseglung mit dem britischen Captain James Cook in der Südsee als Assistent seines Vaters sein Augenmerk vor allem auf die zeichnerische Darstellung von Pflanzen und Tieren gelegt, so betrachtete er auf seiner Reise am Rhein entlang nun in erster Linie Kunstschätze und soziale Verhältnisse. Dabei zog er dem "Niederrhein" längst nicht die engen Grenzen, die wir heute anlegen, machte die Landeskundlerin Irmgard Hantsche gleich zu Beginn ihres Vortrages über den "Rhein und seine Uferregionen in Reiseberichten des 18. und 19. Jahrhunderts" in Viersen deutlich. Für ihn und auch andere gehörte Köln ganz selbstverständlich noch dazu.

Reiseberichte aus der Zeit zwischen 1780 und 1830, die nicht nur den von Burgen begleiteten Mittelrhein zwischen Mainz und Bonn schildern, sondern auch Städte und Dörfer zwischen Köln und Emmerich erwähnen, lassen sich an einer Hand aufzählen, hat die Professorin an der Universität Duisburg-Essen herausgefunden. Bemerkenswert ist, dass damals auch schon Frauen auf die lange und beschwerliche Reise gingen. Beschwerlich deshalb, weil oft die Postkutsche das Beförderungsmittel war, die über schlechte Straßen rumpelte. Deshalb haben sie auch keine Abstecher ins "Hinterland" gemacht. "In Viersen ist leider niemand gewesen", sagte Hantsche vor rund 50 Zuhörern in der Albert-Vigoleis-Thelen-Stadtbibliothek. Dass das Leben dort nicht viel anders (oder noch schlechter) war als nahe der Verkehrsader Rhein, lässt sich ohne viel Fantasie ausmalen.

Zu seinen "Ansichten vom Niederrhein" brach Georg Forster 1790 mit dem jungen Alexander von Humboldt in Mainz auf und kam bis Köln/Düsseldorf, um nach Aachen, Lüttich, Brüssel, Antwerpen (Österreichische Niederlande) abzubiegen und später nach Amsterdam (Holland), London und Paris zu reisen. In Köln fällt ihm der krasse Unterschied zwischen Reich und Arm auf, und es scheint ihm, dass die Bettler ihre Plätze an den Kirchen vererben oder ihren Töchtern als Mitgift geben. Der Jakobiner und Freimaurer Forster bemerkt, dass sich hier manches ändern müsse und stellt fest: "Die Zahl der Kirchen überstieg meinen Glauben."

Vier Jahre zuvor hatte die Reiseschriftstellerin Sophie von La Roche mit ihrem Sohn Carl mit der Postkutsche eine Rheinreise unternommen, die sie ab Nimwegen auf einem Schiff fortsetzte. Sandig und steil war der Weg von Köln nach Düsseldorf, acht Stunden dauerte es dann bis Moers-Hochstraeten. Die Menschen erschienen ihr "träge und nachlässig", aber je näher sie den Niederlanden kam, desto sauberer wurden die Häuser. Nimwegen habe "Wohlstand und Nettigkeit" ausgestrahlt. Weil bei der Schiffstour zur Nordsee die Niederrhein-Landschaft kaum Abwechlung bot, hat man sich in der Kajüte über Wieland, Klopstock und Goethe unterhalten.

Den Eindruck vom sauberen Holland brachte die Engländerin Ann Radcliffe mit, als sie 1794 mit ihrem Mann fünf Monate lang den Rhein rauf und runter bereiste. Beim Grenzübertritt nach Preußen fiel ihr auf, dass der Kutscher Schwarzbrot für die Pferde kaufte und ihnen somit "deutsche Lebensart" vermittelte. Unangenehm waren ihr die vielen bettelnden Kinder. Xanten sah nicht so ärmlich aus wie andere Städte, doch Rheinberg sei nur in "schäbiges Nest". Über Uerdingen wird Neuss erreicht. Dass sich das Fenster des Gasthofzimmers nicht öffnen lässt, wird nicht als nicht schlimm empfunden, denn "stank doch die ganze Stadt nach Abwassergruben und Jauchegräben". Auch Köln erinnert sie mit seinem "pestilenzartigen Gestank aus den Rinnen" an Neuss. Auf der Rückreise - inzwischen haben Napoleons Truppen die Stadt eingenommen - ist die Stadt so mit Flüchtlingen und Verwundeten überfüllt, dass sie auf einem Schiff nächtigt: "Jeder weiß jetzt, was er von Ruhm und Gloria zu halten hat." Am unteren Niederrhein erlebt sie in Rees ("Die an die Niederlande erinnernde Reinlichkeit gefiel uns") beim Sonnenuntergang einen "angenehmeren Abend als vorher zwischen Freiburg und Holland"). Schließlich genießt sie die Aussicht vom Belvedere in Nimwegen und erkennt "eine Landschaft von stiller Schönheit".

Auch Johanna Schopenhauer sieht auf einer Rheinreise mit dem Dampschiff 1828 ein ambivalentes Köln: schön und hässlich, alt und neu, beklemmende Düsternis und friedliche Hölle. Aber auch hier sieht sie erste Anzeichen niederländischer Reinlichkeit: Köln ist auch für sie Niederrhein.

(RP)
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