Stadt Kempen Elf neue Stolpersteine für die Altstadt

Stadt Kempen · Am kommenden Donnerstag, 24. November, werden in Kempen zum zweiten Mal Stolpersteine verlegt. Dazu werden aus England, Israel und Neuseeland sieben Nachfahren der verfolgten jüdischen Familie Hirsch die Thomasstadt besuchen. Der Gedenkveranstaltung vorausgehen wird ein Vortrag des Künstlers Gunter Demnig, der das Projekt Stolpersteine geschaffen hat.

 Am 15. Dezember 2015 wurden in Kempen die ersten acht Stolpersteine verlegt. Damals erinnerten Schüler - wie hier an der Von-Loe-Straße - an die Opfer des Nazi-Terrors.

Am 15. Dezember 2015 wurden in Kempen die ersten acht Stolpersteine verlegt. Damals erinnerten Schüler - wie hier an der Von-Loe-Straße - an die Opfer des Nazi-Terrors.

Foto: Wolfgang Kaiser

Er war noch jung, als die Nazis ihn ermordeten; erst 20 Jahre alt. Josef Voss aus Kempen, Ellenstraße 19, hatte bei seiner Zangengeburt eine leichte Gehirnschädigung erlitten. Verstehens-Schwierigkeiten vor allem beim Rechnen waren die Folge, später eine gewisse Verwirrtheit. Einen Beruf ausüben konnte er nicht. Unter den Nazis war das ein Todesurteil. 1936 in die Heilanstalt Süchteln eingewiesen, wurde Josef Voss 1941 in der Gaskammer der Todesklinik Hadamar ermordet. Für ihn und zehn andere Kempener Nazi-Opfer werden jetzt Stolpersteine gelegt werden.

 Emmy Watermann (geborene Hirsch) wurde mit ihrem Mann Hans und Sohn Fred ermordet.

Emmy Watermann (geborene Hirsch) wurde mit ihrem Mann Hans und Sohn Fred ermordet.

Foto: Wally Hirsh

Es wird die zweite Verlegung sein, die die 2013 gegründete Initiative "Stolpersteine in Kempen" organisiert. Am 15. Dezember vergangenen Jahres wurden die ersten acht Messingplatten, die dem Gedenken von NS-Opfern dienen, in das Pflaster der Engerstraße und der Von-Loe-Straße eingelassen. Am kommenden Donnerstag werden nun elf neue Stolpersteine verlegt - von dem Kölner Künstler Gunter Demnig, der bisher mehr als 50.000 seiner steinernen Gedenkplatten in Deutschland und in zahlreichen europäischen Ländern installiert hat.

Der erste Stein wird gegen 8.45 Uhr an der Ecke Ellenstraße/Möhlenwall zum Gedenken an das Euthanasie-Opfer Josef Voss platziert; der zweite vor dem Haus Peterstraße 3: zur Erinnerung an den mutigen Friseur Heinrich Wolff, der ins Zuchthaus kam, weil er sich kritisch über den von den Nazis angezettelten Krieg geäußert hatte.

Im Zentrum der Gedenkveranstaltung wird diesmal die jüdische Familie Hirsch stehen, die an der Peterstraße 23 (heute: Kolpinghaus) eine florierende Metzgerei betrieb. Sieben ihrer Nachfahren werden als Gäste der Stadt aus England, Israel und Neuseeland nach Kempen kommen. Die Steine für ihre verfolgten und ermordeten Vorfahren hat die Kempener Familie Renkes übernommen, die damals ihrer Nachbarfamilie Hirsch nach Kräften beigestanden hatte. Von den neun Mitgliedern der jüdischen Familie sind fünf von den Nationalsozialisten ermordet worden. Den anderen vier gelang die Flucht.

Musikalisch umrahmt wird die Verlegung mit jiddischen Liedern, vorgetragen von der Chorklasse des Thomaeums unter David Nethen. Bei jedem einzelnen Stein werden Schülerinnen und Schüler des Luise-von-Duesberg-Gymnasiums, des Thomaeums, des Rhein-Maas-Berufskollegs und der Erich Kästner Realschule ebenfalls zweisprachig Biografien der Opfer verlesen, an die hier erinnert wird. Sie werden berichten von dem Metzgermeister Isidor Hirsch, seiner Frau Johanna und seiner Schwester Hannchen, die ihrem Geschäft ein glänzendes Prestige schufen und bekannt wurden für ihre Großzügigkeit gegenüber Arbeitslosen und Kinderreichen. Alle drei wurden Anfang Oktober 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Die Jugendlichen werden an das Schicksal ihres Sohnes beziehungsweise Neffen erinnern, des hoch begabten Dr. Walter Hirsch, der 1926 auf dem Thomaeum ein blendendes Abitur machte. Er wurde ein brillanter Lehrer, aber - trotz aller prominenten Fürsprache, etwa von Albert Einstein - wurde er verhaftet und starb in Auschwitz im Gas. Und sie werden von seiner Schwester Emmy berichten, die mit ihrem Mann Hans Watermann in die Niederlande floh, um der Verfolgung durch die Nazis zu entkommen. Aber nach der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht wurden die Eheleute 1943 mit ihrem Sohn, dem vierjährigen Fred, deportiert und im KZ Sobibór ermordet. Verlesen werden auch die Biographien jener Hirsch-Familienmitglieder, die emigrieren und so ihr Leben retten konnten. Wie der älteste, 1904 geborene Sohn Ernst. Er war zunächst Bankkaufmann, verlor 1923 unter dem Druck der Hyper-Inflation seine Stellung und arbeitete in Mönchengladbach und Rheydt als Buchhaltungs-Leiter in Webereien. 1938 schaffte er die Flucht nach Neuseeland, wo er in Dunedin als Lehrer und Haupt der jüdischen Gemeinde wirkte. Sein Sohn Walter ("Wally") ist mittlerweile der Sprecher der über drei Kontinente verstreuten Familie. Er fühlt sich zu alt für die Reise nach Europa; statt seiner kommen seine Tochter Leora und sein Schwiegersohn Peter Jaspers nach Kempen. - Im Juli 1939 hatte Ernst Hirsch es geschafft, seine jüngere Schwester Martha nach Neuseeland nachzuholen. Das gelang, weil ihr Mann Johannes Horn aus Vorst Automechaniker war. Handwerker wurden bei der Einreise bevorzugt. Erinnert wird auch an die Brüder Paul und Leo Hirsch, seit 1934 Inhaber der väterlichen Metzgerei. Während Paul während der Pogromnacht in Kempen von der Polizei verhaftet wurde und für anderthalb Monate ins KZ Dachau kam, konnte sein Bruder sich verstecken und dem Konzentrationslager entgehen. Einen Tag, nachdem die deutsche Wehrmacht in Polen einmarschiert war - am 2. September 1939 - setzten die beiden unter abenteuerlichen Umständen von Vlissingen nach England über, kurz bevor die Navy die Kampfhandlungen im Kanal aufnahm. Nach acht Jahren harter Arbeit und eisernem Sparen kauften sich Paul und Leo Hirsch die Bilham Farm in der Grafschaft Kent, wo Mitglieder der Kempener Familie Renkes sie besuchten. Auch von ihnen kommen Nachfahren zur Verlegung: aus Israel Leos Tochter Hannah Gillman; aus England sein Sohn Freddie Hirsch mit seiner Frau Glenda. Ebenfalls aus England werden Pauls Tochter Edith mit ihrem Mann Martin Andresier anreisen.

(hk-)
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