Stadt Kempen Es klemmt beim gemeinsamen Lernen

Stadt Kempen · Die Umsetzung von Inklusion in der Schule ist schwierig. Das wurde bei einer Diskussionsveranstaltung im LvD-Gymnasium in Kempen deutlich. Dort wurde auch das so genannte RTI-Modell vorgestellt.

Stadt Kempen: Es klemmt beim gemeinsamen Lernen
Foto: Uwe Anspach

"Wir wollen von Ihnen wissen, wo es klemmt", sagte in der Aula des Luise-von-Duesberg-Gymnasiums (LvD) Professor Dr. Christian Huber. Der Wissenschaftler ais Potsdam hatte kurz zuvor ein Inklusionsmodell vorgestellt, das sich gerade erst an zwei Kempener Schulen (Regenbogen-Grundschule und LvD) in der Probephase befindet und durch das lernschwächere oder verhaltensauffällige Kinder besser gefördert werden sollen. Dass derzeit beim gemeinsamen Lernen eine Menge klemmt, wurde danach in der mehrstündigen Diskussion deutlich. Verwaltungsspitzen, Eltern und vor allem Lehrer auch anderer Kempener Schulen redeten sich ihren Frust über fehlende Ressourcen oder viel zu große Klassengrößen von der Seele, wünschten sich gerade in der Erkennung und Förderung der Schüler mit den verschiedenen Handicaps eine sofortige und unbürokratische Hilfe.

Da nützte es ziemlich wenig, als Sigrid Beer, schulpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag, eingangs die Fördersummen nannte, die das Land in die Aus- und Fortbildung zu sonderpädagogischen Fachkräften stecke, unter anderem ab dem diesjährigen Wintersemester von 2300 zusätzlichen Studienplätzen für die Sonderpädagogik sprach oder von mehr als 3200 neuen Lehrerstellen, die für diesen Zweck bis zum Jahre 2017 entstehen sollen. "Es kommt bisher viel zu wenig unten an", sagten nicht nur der Leiter des Schulverwaltungsamtes des Kreises Viersen, Lothar Thorissen, oder Kempens Schuldezernent Michael Klee.

Wissenschaftler Christian Huber, stellte vor den etwa 130 Zuhörern, wovon sich viele später in die Diskussion einmischten, das noch sehr theoretische RTI- Modell (steht für Response to Intervention) vor. Dadurch soll schon früh auf Lern- oder Verhaltensdefizite reagiert werden, bevor die Kinder das Etikett eines I-Schülers mit dem dann gesetzlich zustehenden Förderbedarf bekommen. Huber, der früher in Köln an der Universität gelehrt hat, stellte sich unter anderem vor, dass im Vorfeld so genannte multifunktionelle Teams gebildet werden, die die betreffenden Kinder fördern aber auch der Familie helfen. Aber auch der Professor sprach von einem Ressourcen-Dilemma. Man müsse, so Hubert grundsätzlich, der Inklusion endlich eine Struktur geben. Huber zeigte am Schluss ein Comic-Zeichnung: eine Tsunami- sprich Inklusions-Welle, die auf einige auf einer Insel stehende Menschen zukommt und von ihnen mit "Wir glauben nicht, dass wir nass werden", also von den Inklusion betroffen sind, kommentiert wird.

Ein Lehrerin konterte sofort: "Wir haben schon lange die Rettungswesten an, werden aber trotzdem untergehen." Sie wollte damit sagen, dass an vielen Schulen die Belastungsgrenze für die Pädagogen schon lange erreicht sei. Dass man helfen will, aber immer wieder an Grenzen stoße. Andere Redner und Lehrer sprachen die Probleme fehlender Sonderpädagogen oder Integrationshelfer an.

Lehrerinnen der neuen Kempener Gesamtschule kritisierten die mit 28 und 29 Schülern viel zu hohen Klassengrößen. "Ab dem nächsten Schuljahr gehen auch an den weiterführenden Schulen die Klassenrichtwerte zurück", meinte dazu Grünen-Politiker Sigrid Beer. Wie viel Kinder sind dies dann in den Ländern, wo es die Förderung bereits gibt, zum Beispiel in Finnland? "Im Durchschnitt 22", antwortete Huber.

So sehr viele Redner den Ansatz dieses RTI-Modells begrüßten, fühlten sich viele Pädagogen mit den Problemen doch allein gelassen. Auch wurde der Wunsch geäußert, dass man das langwierige Antragsverfahren zur Einstellung eines Integrationshelfers in der Übergangszeit durch junge Menschen, die das Freiwillige Soziale Jahr machen und vorab dann pädagogisch etwas geschult werden müssten, überbrücken könnte. "Denn oft dauert es über ein Jahr, bis so ein Antrag entschieden wird", sagte eine Mutter. Und in einem Jahr, in dem dann nichts passiert, könnte das gehandicapte Kind sprichwörtlich schon in den Brunnen gefallen sein. Huber hatte selbst von dem "Wait-to-fail"-Problem gesprochen.

Nahezu drei Stunden dauerten die Streitgespräche. Michael Klee kündigte zu dem Thema weitere öffentliche Diskussionsrunden an. "Schade, dass so ein tolles Projekt wegen der fehlenden Ressourcen nur auf einer Schmalspur läuft", sagte die Leiterin der Regenbogen-Grundschule, Josefine Lützenburg. Dort ist vor Monaten der Modellversuch beim "Lesen" angelaufen. Sechs Kinder aus dem zweiten Schuljahr werden dort besonders gefördert; nach den Herbstferien soll eine zweite Gruppe entstehen. "Dies geht aber nur deswegen, weil die beteiligten Pädagogen viel Idealismus zeigen und teilweise über ihr Stundenkontingent arbeiten", ergänzte Josefine Lützenburg.

Angelaufen ist das Projekt zum "Verhalten" zunächst mit einigen wenigen Schülern auch beim LvD-Gymnasium. Dort gibt es auch einige so genannte I-Klassen. Auch Schulleiter Benedikt Waerder wünschte sich mehr Unterstützung und sagte: "Es ist noch ein sehr weiter Weg." Das Modell bezeichnete Waerder als gut und weiter: "Wir müssen eine Etikettierung der Kinder auf jeden Fall zu verhindern versuchen."

(wsc)
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