Interview Jürgen Steinmetz "Großen Willen zur Gestaltung erlebt"

Kempen · Jürgen Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein, über Chancen für die Region, Perspektiven für Auszubildende und Herausforderungen des demografischen Wandels.

 IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz nahm auf dem roten Sofa der Viersener Redaktion Platz.

IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz nahm auf dem roten Sofa der Viersener Redaktion Platz.

Foto: Busch

Viele Jugendliche erleben gerade die ersten Tage in der Lehre. Wie beurteilen Sie den Start in das Ausbildungsjahr?

Jürgen Steinmetz Angebot und Nachfrage sind nicht ausgewogen. Alleine in unserer IHK-Lehrstellenbörse haben wir noch rund 150 unbesetzte Ausbildungsplätze. Viele Bewerber wissen nicht, wie attraktiv viele weniger bekannte Berufe sind. Gleichzeitig klagen Ausbilder immer wieder darüber, nicht die passenden Bewerber zu finden.

Wie könnten diese Lücken geschlossen werden?

Steinmetz Da gibt es unterschiedliche Aspekte. Immer mehr Jugendliche machen Abitur, studieren, und dann brechen aber auch mehr als 30 Prozent das Studium ab. Diese Abbrecher sind auch eine Zielgruppe, die wir für eine Berufsausbildung begeistern können. Zugleich müssen auch Arbeitgeber, IHK und Schulen Jugendliche und Eltern über die Vielfalt der Ausbildungsmöglichkeiten und Berufe aufklären. Es gibt viel mehr als die üblichen "Top Five": Von 350 Ausbildungsberufen werden 250 im Kammerbezirk angeboten. Doch viele sind nicht bekannt. Darüber hinaus sind auch Asylbewerber eine Zielgruppe, die wir für die duale Ausbildung gewinnen können.

Demografischer Wandel und der Versuch, Beruf und Familie zu vereinbaren: Sind da neue Antworten notwendig?

Steinmetz Ich glaube ja. Nicht für alle ist eine Arbeitszeit von 8 bis 17 Uhr zeitgemäß. Man muss individuelle Lösungen finden. Die Grenzen zwischen Beruf und Privatem vermischen sich - auch wenn das nicht nur positiv ist. Außerdem muss man zwischen einer körperlich anstrengenden Tätigkeit etwa am Hochofen und einer im Büro unterscheiden. Gerade die Erfahrung und die Kompetenz von Älteren sind wichtig. Wer will, sollte so lange arbeiten, wie er möchte.

Nach einem Jahr als Hauptgeschäftsführer der IHK: Wo sehen Sie den Kreis Viersen, Krefeld und Mönchengladbach sowie den Rhein-Kreis Neuss?

Steinmetz Der Niederrhein ist eine spannende Region, in der sich viel bewegt. Ein Beispiel ist das ehemalige Militärflughafengelände in Elmpt. Um eine Fläche in dieser Größenordnung und mit diesem Entwicklungspotenzial würden uns andere Kommunen beneiden. Dazu kommt die Infrastruktur und die Nähe zur Grenze. Das Areal bietet viele Chancen für neue Arbeitsplätze.

Unverzichtbar ist dabei eine gute Infrastruktur ...

Steinmetz Gerade für diese Region ist die Infrastruktur von entscheidender Bedeutung. Wir begrüßen als IHK daher den Ausbau der Autobahnen 44, 52 und 61. Der Güterverkehr - auch auf der Schiene - wird immer wichtiger werden. Bis 2030 wird der Gütertransport um 60 Prozent zunehmen. Und das bleibt nicht ohne Auswirkungen. Es ist klar, dass solche Güterbewegungen nicht allein über die Straße erfolgen können. Allerdings ist der Ausbau der Verkehrsnetze nicht um jeden Preis zu betreiben. Der Schutz der Menschen darf nicht vergessen werden.

Bleiben wir doch bei dem Beispiel Infrastruktur. Ist es denn da sinnvoll, dass jede Stadt und jede Gemeinde etwa beim Bundesverkehrswegeplan nur für ihre Ziele kämpft?

Steinmetz Gerade beim Thema Verkehr sollte das Kirchturmdenken aufgegeben werden. Mit Blick auf den Bundesverkehrswegeplan wäre es sinnvoller, künftige Verkehrswege für eine Region gemeinsam statt isoliert zu betrachten. Das zeigt auch ein Projekt wie Elmpt: Es hat nicht nur lokale und regionale Bedeutung, sondern wirkt auch darüber hinaus. Aus diesen Gründen forcieren wir auch die Schaffung der Metropolregion Rheinland.

Wo könnten die Kommunen etwa im Kreis Viersen noch Kräfte bündeln?

Steinmetz Etwa beim Thema Tourismus. Auch da ist es sinnvoll, in größeren Verbünden zusammenzurücken und Ideen gemeinsam zu entwickeln - warum nicht auch über die Kreisgrenzen und die deutsche Grenze hinaus? Ein gemeinsames Agieren von Kommunen trägt auch dazu bei, die städtischen Haushalte zu entlasten.

Stichwort Chance: Könnte auch die Tour de France 2017 für die Region eine solche Chance darstellen?

Steinmetz Ich bin selbst sportaffin, habe für Zustimmung wie für Ablehnung Verständnis. Diese Frage sollten die Verantwortlichen in der Region gemeinsam beantworten. Aber natürlich hat eine solche Veranstaltung eine große Strahlkraft und sorgt für Aufmerksamkeit. Auch der wirtschaftliche Effekt für Handel, Handwerk, Hotels und Gastronomie ist nicht zu unterschätzen.

Nach einem Jahr als IHK-Hauptgeschäftsführer: Wie lautet Ihre Bilanz?

Steinmetz Themen und handelnde Personen waren mit teilweise schon aus meiner früheren Tätigkeit als Vertreter des Landrates im Rhein-Kreis Neuss bekannt. Neu und positiv habe ich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit wahrgenommen. Das ist eine große Chance. Mehr getan werden muss allerdings beim Breitbandausbau. Insgesamt habe ich in den vergangenen Monaten einen großen Willen zur Gestaltung erlebt: Hier bewegt sich etwas und es macht große Freude, daran mitzuwirken.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE DANIELA BUSCHKAMP.

(RP)
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