Heimat erleben Mühle und Zeche - gleich nebenan

Stadt Kempen · Tönisberg beherbergt gleich zwei Zeugnisse von Wirtschaftsgeschichte. Hier steht eine der letzten, gut erhaltenen Kastenbockwindmühlen. Nur einen Steinwurf entfernt gibt es zudem die westlichst gelegene Zeche des Ruhrbergbaus.

 Wenn Ben Burchardt, Mühlenexperte des Heimatvereins Tönisberg, die Technik der Mühle erklärt, wird Geschichte lebendig.

Wenn Ben Burchardt, Mühlenexperte des Heimatvereins Tönisberg, die Technik der Mühle erklärt, wird Geschichte lebendig.

Foto: Wolfgang Kaiser

Der Anblick ist außergewöhnlich. Wer den Mühlenberg hinaufgeht und vor der Kastenbockwindmühle aus dem Jahr 1802 steht, der staunt erst einmal. Die gewaltige Unterkonstruktion, bei der allein der 4,25 Meter hohe Bock schon zweieinhalb Tonnen wiegt, beeindruckt genauso wie die vier, jeweils 18 Meter langen, etwas gebogenen Flügel und der gut zehn Meter lange Krühsteert, mit dem die Mühle früher in den Wind gedreht wurde. "Es ist kaum vorstellbar, dass mit diesem dicken Balken und der Hilfe einer Seilwinde einst eine ganze Mühle mit Tonnen von Gewicht gedreht wurde. Zumal die Flügel damals noch länger waren", sagt Ben Burchardt, Mühlenexperte des Heimatvereins Tönisberg.

Bei der 18 Meter langen Flügelvariante handelt es sich um eine gekürzte Version, damit niemand einfach an den Flügel hochklettern kann. Einst waren sie knapp 21 Meter lang. Die Flügel, auch Segelgatter genannt, liefen rund 30 Zentimeter über der Grasnarbe. Aber nicht nur von außen ist die Mühle ein wahres Kleinod. Wer die 25 Stufen der steilen Holztreppe hinaufsteigt, der erlebt nicht nur einen unvergleichbaren Fernblick, sondern kann auch in die Mühle hinein. In über vier Meter Höhe befindet sich der sogenannte Mehlraum. Aus den beiden großen Trichtern lief einst das Mehl über die Kastenrohre in die darunter hängenden Säcke.

 Gerne wird der Förderturm der ehemaligen Schachtanlage Niederberg auch "Leuchtturm von Tönisberg" genannt.

Gerne wird der Förderturm der ehemaligen Schachtanlage Niederberg auch "Leuchtturm von Tönisberg" genannt.

Foto: Kaiser, Wolfgang (wka)

Gigantisch anzusehen ist der mittig stehende, sieben Meter lange Hausbaum, der über 200 Jahre alt ist, zweieinhalb Tonnen auf die Waage bringt und sich durch die gesamte Mühle zieht. Über eine weitere schmale, ebenfalls steil nach oben führende Stiege geht es in den Mehlsöller, wo die Technik der Mühle bestaunt werden kann. Das Kammrad aus Eichenholz, das mit der Flügelwelle verbunden ist, auf der wiederum die Flügel sitzen, das Königsrad, die Königswelle, die dicken Mahlsteine - Geschichte zum Anfassen, die zudem richtig lebendig wird, wenn Burchardt von früher erzählt.

Der Besucher erhält den Eindruck, als könnte der Müller jede Sekunde um die Ecke biegen und man hört förmlich, wie die Flügel der Mühle knarren und die Körner an den Kanten der Mahlsteinriefen geschnitten und danach zwischen den Mahlkörpern gemahlen werden. "Die Riefen sind auch für die Luftzufuhr und damit die Kühlung beim Mahlvorgang zuständig", erklärt der Mühlenfachmann. Über dem Mehlsöller befindet sich noch der sogenannte Kappsöller. Von hier aus unternahm der Müller einst die Reparaturen an den Rädern.

 Ben Burchardt bietet auch Führungen durch die Mühle an.

Ben Burchardt bietet auch Führungen durch die Mühle an.

Foto: Kaiser, Wolfgang (wka)

Burchardt kann nicht nur den eigentlichen Mahlvorgang bis ins kleinste Detail erklären, er kennt sich auch ansonsten aus. Die Arbeit mit dem Krühsteert, wie das Setzen und Raffen der Segelgatter ablief, dass die Mühle nach einem Baukastensystem gebaut ist und auch schon einmal komplett zwecks Restauration auseinandergenommen wurde, sein Fachwissen ist groß.

Die Mühle, die bis 1910 in Betrieb war, hat eine wechselvolle Geschichte. So war sie im Zweiten Weltkrieg Ausguck für Soldaten, die feindliche Flieger melden sollten. Das Bauwerk wurde selbst von einer Panzergranate getroffen und schwer zerstört.

Nicht weniger geschichtsträchtig geht es ein paar Meter weiter zu. Von der Mühle fällt der Blick auf den Förderturm der ehemaligen Schachtanlage Niederberg. 47 Meter hoch ragt er in den Himmel und ist damit unübersehbar. Gerne wird er daher auch der Leuchtturm von Tönisberg genannt. "Der Schacht IV der Zeche Niederberg wurde 1962 gebaut. Zehn Jahre später wurde die Personenseilförderung eingestellt", berichtet Peter Kunz, der Vorsitzende des Fördervereins Niederberg. Nichtsdestotrotz hatte der Schacht IV weiterhin eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, und zwar als Wetterschacht. Der große Lüfter auf dem Mühlenberg stieß die verbrauchte Grubenluft aus 430 Meter Tiefe heraus, und zwar bis zum Jahr 2001. Erst dann erfolgte die vollständige Stilllegung.

Seit diesem Jahr stehen Fördergerüst, Schachthalle und Maschinen haus bekanntlich unter Denkmalschutz. Das Gelände ist nicht frei zugänglich und so befindet sich die Schachtanlage, die so untypisch mitten im Grünen und nicht in einer großen Industriefläche liegt, ein bisschen im Dornröschenschlaf. Den Weg über die Allee zur Schachtanlage kennen daher nur wenige Ortskundige. Der Zechen-Förderverein hofft, dass in Zukunft eine gemeinschaftliche Nutzung des Geländes von Natur- und Denkmalschutz möglich ist, denn auch der der Naturschutzbund Nabu hat schon sein Interesse bekundet. "Wir haben hier eine vollfunktionsfähige Außenschachtanlage und es wäre schade, wenn wir diese den Bürgern nicht näher bringen könnten, weil das Gelände nicht zugänglich ist", sagt Peter Kunze, der sich als ehemaliger Bergmann in Sachen der Tönisberger Zeche bestens auskennt.

(tref)
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