Klanghaltestellen - Fußnoten Zur Fastenzeit (2) Paul Simon singt im Autoradio "O Haupt voll Blut und Wunden"

Kempen · Es gibt wohl kaum etwas Beiläufigeres als Musik während der Autofahrt. Unlängst aber erklang etwas aus dem Autoradio, was einen stutzig werden ließ. Die Stimme des Singersongwriters Paul Simon (Sänger des legendären Duos "Simon and Garfunkel")war sofort zu erkennen. Aber die Melodie, die zuerst noch ein wenig fremd erschien drang alsbald noch vertrauter durch: "O Haupt voll Blut und Wunden". Das ganze wirkte so verstörend, dass ich mein Auto an einem Seitenstreifen anhielt, um dieses Lied zu ende zu hören. Zuhause ging es dann erst mal ins Internet. Da musste es doch Informationen geben, die das Rätsel dieser eigenartigen Verknüpfung lüften könnten. In der Tat: Paul Simons Song "American Tune" bezog sich seinerzeit tatsächlich auf ein altes deutsches Liebeslied aus dem frühen 17. Jahrhundert. Unter dem Titel "Mein G'müt ist mir verwirret" hatte damals der Komponist Hans Leo Hassler den Text eines unbekannten Dichters vertont. In diesem Gesang wird aber nicht nur Liebesleid zum Ausdruck gebracht. Zur Sprache kamen auch allgemeine seelische Konfusion, Orientierungslosigkeit angesichts von, zerbrochener Freundschaft. Selbstzweifel. Dies und existenzielle Fragen nach der (amerikanischen) Identität klingen nun ebenfalls in Simons Version dieses Liedes auf seinem Album "There Goes Rhymin' Simon" an. Die Melodie von Hassler wiederum, fand später im Kirchenlied "O Haupt voll Blut und Wunden" erneut ihre Verwendung .In der "Matthäuspassion" von Johann Sebastian Bach spielte dieser Choral dann eine zentrale Rolle. So sind die Dinge also miteinander verbunden, über Jahrhunderte hinweg mit einander verwoben, schon längst vor der Erfindung des Internets. Aber manchmal entfalten sie ihre Wirkung und Bedeutung erst dann, wenn man sich für einen Augenblick "verwirren" lässt, anhält, innehält. Dann verknüpfen sich scheinbar beziehungslose Fäden, bündeln sich auf einmal in einem Punkt jenseits alltäglicher Flüchtigkeit. Es entsteht ein Moment von berührender Stille, im "Sound of Silence", wie es in einem anderen Song von "Simon and Garfunkel" heißt.

 Der amerikanische Singer-Songwriter und Gitarrist Paul Simon im Juli 2011 bei einem Konzert in Mailand.

Der amerikanische Singer-Songwriter und Gitarrist Paul Simon im Juli 2011 bei einem Konzert in Mailand.

Foto: MATTEO BAZZI / DPA

Marcell Feldberg

(RP)
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