Stadt Kempen Pflege eines historischen Baums

Stadt Kempen · Auf dem Stiegerhof in Kempen steht ein ganz besonderer Baum. Es handelt sich um eine der wenigen so genannten Tanzlinden in Nordrhein-Westfalen. Der Naturschutzbund Nabu kümmert sich um die mehr als 100 Jahre alte Linde.

 Pflegen die historische Linde (von links) Georg Lüdecke, Milan Prior, Carin Fuchs und Günter Wessels sowie - oben im Baum - Peter Jeske.

Pflegen die historische Linde (von links) Georg Lüdecke, Milan Prior, Carin Fuchs und Günter Wessels sowie - oben im Baum - Peter Jeske.

Foto: Kaiser

"Noch ein Stückchen, prima." Der Zuruf von Peter Jeske gilt Günter Wessels, der eine breite Holzbohle mit Hilfe einer Leiter in mehr als zwei Meter Höhe schiebt. Allerdings steht diese Leiter an keinem Gerüst, sondern an einer rund sechs Meter hohen Linde mit einem beachtlichen Umfang. Auf den unteren stämmigen Ästen, die nahezu waagerecht in die Luft ragen, ist Jeske zu sehen, der die Bohle in Empfang nimmt und vorsichtig neben einer weiteren Planke auf den breiten Ästen platziert. "So muss es früher ausgesehen haben", meint Georg Lüdecke mit Blick in die Höhe. Jetzt fehle nur noch die Frau zum Tanzen, sagt Jeske, der auf den Bretten hoch oben im Baum einige Tanzschritte macht. Eine Aktion, die Milan Prior seine Schnittarbeiten an dem bereits abgesägten Holz neben der Linde unterbrechen lässt.

Die Mitglieder der Ortsgruppe Kempen, St. Hubert und Tönisberg im, Naturschutzbund Nabu lassen eine längst vergessene Tradition für einige Minuten aufleben, auch wenn sie nur provisorisch nachgestellt ist.

Der etwas mehr als 100 Jahre alte Baum, den die Naturschützer in Pflege haben, ist etwas ganz Besonderes. Es handelt sich um eine der wenigen Tanzlinden in ganz Nordrhein-Westfalen. "Im Kreis Viersen kenne ich nur diese Tanzlinde und eine weitere an der Leuther Mühle in Nettetal. Dann ist mir noch eine in Krefeld Traar bekannt", sagt Günter Wessels.

Der Nabu-Baumexperte aus Dülken stieß durch Zufall auf die Rarität auf dem Stiegerhof in Kempen. Selbst die Besitzer wussten nicht, was es mit dem merkwürdig gewachsenen Baum im Garten, direkt neben dem ehemaligen Graben, der einst die Grenze zwischen Kempen und Vorst bildete, auf sich hatte. "Wir haben auf dem Grundstück Obstbäume angepflanzt, als mir die Linde aufgrund ihrer Wuchsform ins Auge fiel", berichtete Wessels. Der Natur-Fachmann wusste sofort, dass er eine Tanzlinde vor sich hatte, da er die Tanzlinde in Traar kennt.

Wessels nahm den Baum genauer unter die Lupe und sah seine Vermutung bestätigt. Auf den waagerecht gezogenen Ästen waren Schadspuren zu sehen, ein eindeutiges Zeichen für die frühere Nutzung. Diese stammen von Brettern, die einst auf dem Baum befestigt gewesen waren. Auf Tanzlinden wurde, wie es der Name bereits verrät, einst getanzt. Dafür wurden die jungen Triebe der Bäume seitwärts in die Waagerechte geleitet und entsprechend fixiert. Auf diesen Ästen wurden dann später Bretter befestigt, wobei ein zusätzliches Gerüst die Äste stützte. In dieser luftigen Höhe von zwei bis drei Meter, erreichbar über eine Leiter oder über Stufen, wurde sozusagen mitten im Baum getanzt. Oftmals war dort auch die Musikkapelle untergebracht.

"Als wir den Hof kauften, hatten wir keine Ahnung, dass im Garten am Graben eine Tanzlinde steht. Wir hatten uns wohl über den Wuchs gewundert, aber nicht weiter darüber nachgedacht", sagt Caren Fuchs. Mit dem neuen Wissen startete sie eine Recherche und fasste den Entschluss, die Tanzlinde in ihrer Form zu erhalten. Das brachte die Nabu-Ortsgruppe Kempen ins Spiel. Wessels und seine Kollegen übernahmen die Pflege.

Vor rund neun Jahren gab es den ersten Schnitt, dem jetzt ein zweiter folgte. Wobei die Austriebe auf den waagerechten Ästen bis auf den Astring zurückgeschnitten werden. Der Rückschnitt bewirkt dabei auch, dass der Baum vermehrt Saft hochzieht, was für den Stamm und die vorhandenen Äste gut ist. Das Schnittgut selber wird unter anderem zum Flechtzaunbau weiterverwendet und die Hülser Pfadfinder, denen Milan Prior angehört, wollen mit dem Holz eine Leonardo-Brücke bauen, die ohne Schrauben und Nägel auskommt. "Linden sind generell Traditionsbäume. Neben den Tanzlinden gab es unter anderem Gerichtslinden, unter denen Gericht gehalten wurde", berichtet Wessels.

(RP)
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