Serie Vor 450 Jahren Salentin von Isenburg wird neuer Landesherr

Kempen · Dem Kurkölner verdanken wir wichtige reformationsgeschichtliche Einblicke im heutigen Viersener Ostkreis.

Serie Vor 450 Jahren: Salentin von Isenburg wird neuer Landesherr
Foto: Karte veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Irmgard Hantsche, Universität Duisburg-Essen

KREIS VIERSEN Der Reformationsgeschichte am Niederrhein, die in diesem Jahr von besonderem Interesse ist, kann man sich oft nur auf Umwegen nähern. Das einfache Muster, wonach der Landesherr evangelisch wurde und danach alle Untertanen, kam hier eigentlich nur in der Grafschaft Moers vor, von einigen Miniterritorien wie Rheydt und Wickrath abgesehen. Einer der Umwege, beispielsweise reformatorischen Entwicklungen in Orten wie Willich, Anrath und Schiefbahn auf die Spur zu kommen, führt über den Kölner Kurfürsten und Erzbischof Salentin von Isenburg (1538 - 1610), der vor 450 Jahren 29-jährig die Regierung des Kurfürstentums antrat.

Er gehörte zu den 16 hochadeligen Mitgliedern des Kölner Domkapitels, aus deren Reihen in der Regel der Erzbischof gewählt wurde. Die Priesterweihe hatte er nicht und behielt sich auch ausdrücklich vor, wenn es aus Gründen der Fortsetzung der Familie notwendig werden sollte, wieder in den weltlichen Stand zurückzukehren, ein damals in der deutschen Adelskirche kein ungewöhnlicher Vorgang. Der Papst missbilligte das zwar, musste aber schließlich nachgeben. Aus dynastischen Gründen verließ Salentin von Isenburg denn auch zehn Jahre nach seiner Wahl sein Amt und heiratete.

Salentin von Isenburg, der einem der Westerwälder-Wetterauer Grafengeschlechter angehörte, verdanken wir eine hervorragende reformationsgeschichtliche Quelle, nämlich die Protokolle der von ihm durchgeführten Kirchenvisitation von 1569. Sie vermitteln einen tiefen Blick in die Gegebenheiten und die Verfasstheit der Kirchengemeinden von Kempen, Tönisvorst und Willich, aber eben auch in die reformatorische Entwicklung.

Die Informationen, die Salentin von Isenburg sammeln und in lateinischer Sprache aufschreiben ließ, sind 1960 von dem namhaften Freiburger Kirchenhistoriker August Franzen herausgegeben worden. Schauen wir uns einige Beispiele aus Anrath, Schiefbahn und Willich an. Für diese Pfarren, aber eben auch für Kempen enthalten die jeweiligen Visitationsprotokolle recht konkrete Hinweise, die in der Summe den Schluss zulassen, dass reformatorischer Einfluss durchaus wirksam war, ungeachtet der Tatsache, dass es sich beim Kölner Kurfürstentum um ein katholisches Territorium handelte.

In Anrath erfuhren Salentins Visitatoren von Untertanen, die im Verdacht standen, der evangelischen Lehre zugetan zu sein. Und der für die Seelsorge verantwortliche Pfarr-Rektor war vormals in der evangelischen Gemeinde Neukirchen in der evangelischen Grafschaft Moers tätig gewesen, hatte dort drei Kinder gezeugt und teilte das Sakrament unter beiderlei Gestalt (Brot und Wein) aus. Eindeutiges Konfessionsbewusstsein war bei ihm wohl kaum ausgebildet. - Walther Föhl bezeichnete Anrath als "einen Kristallisationspunkt des neuen Glaubens".

Auch Paul Emporius, der Pastor "uff der Schyffbanen", missachtete offenbar das Zölibatsgebot. Die Visitatoren notierten recht einsilbig, er sei Konkubinarier. Und hinsichtlich der Achtung des Altarssakramentes ist die Feststellung, dass die Pfarrangehörigen während des Gottesdienstes nach der Predigt die Kirche verließen und umhergingen, recht vielsagend. Der Schiefbahner Pastor und die Anrather Vikare erhielten den Befehl, ihre illegitimen Frauen zu entlassen (concubinas abyciant). Demgegenüber wurde dem Willicher Pastor Christian Emporius ein gutes Zeugnis ausgestellt. Ihm wurden Gelehrsamkeit und ehrenhafter Lebenswandel bescheinigt (doctus et honeste vite). Unangefochtener katholischer Glaube war hingegen auch in Willich nicht festzustellen. So wurde berichtet, dass gegen jene, die wegen ihres weiten Weges den Gottesdienst nicht besuchten, die während der Messe umherliefen und ins Wirtshaus gingen, sowie gegen jene, die während des Gottesdienste durch Zwischenrufe auffielen, eine Strafe von zehn Goldgulden verhängt wurde. Der Amtmann sollte von den Widerspenstigen (a rebellibus) das Strafgeld eintreiben.

Diese und viele andere Details (zum Beispiel die offenbar hier lebenden Mennoniten) sind umso wertvoller, als um die Mitte des 16. Jahrhunderts für diese Orte reformationsgeschichtlich einschlägige Quellen fehlen. Die Visitation, die der 1567 ins Amt gekommene Erzbischof und Kurfürst Salentin von Isenburg 1569 durchführen ließ, war im Erzbistum die erste nach dem Konzil von Trient.

(prof)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort