Stadt Kempen Sechs Wochen Endzeit

Stadt Kempen · Der 500 Jahre alte kostbare Annenaltar bietet jede Menge Details und Überraschungen - wenn man sich näher auf ihn einlässt.

 Am Aschermittwoch wurde der Annenaltar in der Propsteikirche geschlossen. Erst zu Ostern werden die Flügel wieder geöffnet.

Am Aschermittwoch wurde der Annenaltar in der Propsteikirche geschlossen. Erst zu Ostern werden die Flügel wieder geöffnet.

Foto: WOLFGANG KAISER

Am Aschermittwoch wurde der Annenaltar in der Propsteikirche geschlossen. Wie in der Adventszeit zeigen die Rückseiten der beiden Flügel auch während der Passionswochen ins Kircheninnere. Die kostbaren Schnitzereien im Inneren bleiben verborgen, dem gläubigen Kirchenvolk wird in der Fastenzeit die Mahnung des Weltengerichts vorgehalten.

Der prächtige Annenaltar ist 500 Jahre alt. 1513 wurde der Vertrag mit dem Antwerpener Meister Adrian van Overbeck geschlossen - wenige Jahre vor Beginn der Reformation im Jahre 1517. Der Vertrag, der eine genaue Datierung dieses Meisterwerkes ermöglicht, ist heute im Stadtarchiv erhalten. Dort ist auch nachzulesen, dass die Auftraggeber die Szenen eines Jüngsten Gerichtes ausdrücklich in Auftrag gaben. Van Overbeck gehört zu der kleinen exquisiten Schar der Antwerpener Manieristen. Die Form der mit Reliefs reich geschmückten Altarretabel war schon im Mittelalter aufgekommen. Im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts gab es in Antwerpen mehrere große Werkstätten, in denen solche Altäre für "den Export" nach halb Europa geschnitzt wurden. Heute sind noch rund 200 dieser Altäre in Kirchen und Museen erhalten. Der Kempener Vertrag hält auch fest, dass die Auftraggeber nach Antwerpen reisten, um ihren Altar abzuholen.

Bei den Auftraggebern handelte es sich um eine Annenbruderschaft, wie es damals viele gab. Die Annenverehrung war zu diesem Zeitpunkt weit verbreitet. Eine heilige Anna wird in den vier Evangelien nicht erwähnt. Sie kommt aber in apokryphen Schriften ab dem 2. Jahrhundert vor und wird dort als Mutter Mariae beschrieben - damit ist sie die Großmutter von Jesus. In der Kunstgeschichte versteht man unter Anna selbdritt Darstellungen von Anna und Maria mit dem Jesuskind. Dürer etwa hat 1519 ein solches Bild gemalt. Nach alttestamentarischen Vorbildern ist die Annenlegende die Geschichte einer Spätgebärenden. Die fromme Anna betete inbrünstig, Gott möge sie von der Schande der Kinderlosigkeit erlösen, und brachte Opfer dar. Sie gelobte, wenn sie ein Kind bekäme, würde sie es dem Dienste Gottes weihen. Ein Engel erschien ihr und verkündete, dass ihre Gebete erhört seien. Nach 20 Jahren Ehe mit Joachim wurde Anna dann wirklich schwanger.

Die Kreuzfahrer brachten den Anna-Kult nach Europa. Die Verehrung erreichte ihren Höhepunkt, als 1481 Papst Sixtus IV. den Gedenktag der Anna in den römischen Kalender aufnahm. 1584 bestimmte Papst Gregor XIII. ihren Festtag. Die Vorstellung der "starken Frau" machte sie zur Patronin von Zünften und von Handels- und Gewerbetreibenden. Viele riefen sie zur Vermehrung von Reichtum an. Die Verehrung nahm weiteren Aufschwung im frühen 16. Jahrhundert, als viele Annakapellen und Tausende von Altären und Statuen zu ihren Ehren errichtet wurden. Die neun Dienstage vor Ostern wurden damals als "Annadienstage" begangen.

In den einzelnen Gefachen des Kempener Annenaltars sind Szenen aus Annas Leben wiedergegeben, nicht nur in den Schnitzereien auf der prunkvollen Vorderseite, sondern auch in den Gemälden auf der Altarrückseite. Dieser Bildzyklus ist älter als die Bilder der Schauseite, schreibt Pfarrer i. R. Wolfgang Acht in seiner lesenswerten Broschüre "Dahinter schauen" (2014). Und folgert: "Ein Blick auf die Bilder der Rückseite des Annenaltars im Chorraum lohnt sich." In der Malerei ist aber das Weltengericht der Höhepunkt dieses Altars. In der Passionszeit gehört es nicht zur Rückseite des Altars, sondern stellt die Front dar. Pfarrer Acht nimmt die Bibel zur Hand und liest aus Matthäus, 25, 31 folgende zum Weltengericht: "Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt, begleitet von allen Engeln, dann wird er auf seinem Herrscherthron Platz nehmen. 32 Alle Völker der Erde werden vor ihm versammelt werden, und er wird die Menschen in zwei Gruppen teilen, so wie ein Hirte die Schafe von den Böcken trennt." Die Stelle schließt mit dem wunderbaren Bekenntnis: "Wahrlich ich sage euch: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan." Anschaulich führt der Altar die Gerechten und die Verdammten vor Augen.

(RP)
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