Stadt Kempen Verfolgt in Kempen

Stadt Kempen · Die neue Ausstellung im Foyer des Kempener Rathaus zeigt Bilder des Kempener Künstlers Wolfgang Helmrath. Die großformatigen Gemälde geben den Opfern der Nazi-Verfolgung ein Gesicht.

 Der Kempener Künstler Wolfgang Helmrath in seinem Atelier in Vorst mit einigen der großformatigen Porträt-Bildern, die von morgen an bis zum 20. Oktober im Foyer des Kempener Rathauses zu sehen sind.

Der Kempener Künstler Wolfgang Helmrath in seinem Atelier in Vorst mit einigen der großformatigen Porträt-Bildern, die von morgen an bis zum 20. Oktober im Foyer des Kempener Rathauses zu sehen sind.

Foto: Wolfgang Kaiser

Alles begann mit einem Film. Er heißt "Sarahs Schlüssel" und erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die Eltern und Bruder im Holocaust verloren hat. Vor der Verhaftung hat sie ihren kleinen Bruder hinter einer Tapetentür in der Wohnung ihrer Eltern versteckt, und dort ist er dann, wie sie später erfährt, gestorben. Die Vorwürfe, die sie sich darüber macht, treiben sie in den Selbstmord. In der Wohnung ihrer ermordeten Eltern lebt ein alter Archivar, und die Wände hat er mit den Passfotos von Holocaust-Opfern beklebt. Warum? "Man muss den Opfern ein Gesicht geben", sagt er.

Dieser Satz ließ den Kempener Künstler Wolfgang Helmrath nicht mehr los. Er hat ihn veranlasst, Kempener Nazi-Opfern ein Gesicht zu geben, in Acryl-Malerei auf Leinwand. Seine Ausstellung wird am kommenden Donnerstag, 1. Oktober, um 16 Uhr im Foyer des Rathauses am Buttermarkt eröffnet.

Gezeigt werden 23 Menschen aus Kempen, denen die Verfolgung durch die Nationalsozialisten gemeinsam ist. Die meisten wurden auf Anordnung des damaligen Bürgermeisters von der Kempener Polizei verhaftet und der Gestapo übergeben. Als Sozialdemokraten oder Kommunisten wurden sie zu Zuchthaus verurteilt; als Juden wurden sie in den Tod geschickt. Anderen gelang die Emigration ins Ausland. Komprimierte Texte unter den Bildern schildern das Schicksal eines jeden NS-Opfers.

Beispielhaft ist das Schicksal der Familie Hirsch: An der Peterstraße 23, wo heute das neue Kolpinghaus steht, betrieb sie sieben Tage in der Woche die einzige jüdische Metzgerei in der Stadt. Die Qualität ihrer Produkte aus selbst gezogenem Schlachtvieh war hoch. Die Hirschs genossen wegen ihrer Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft vor allem bei Arbeitslosen und Kinderreichen ein gutes Ansehen. Im Laden hatte Hannchen Hirsch das Sagen, Isidor Hirschs jüngere, unverheiratete Schwester. Infolge vieler Schikanen - die letzten Kunden wurden von der NS-Ortsgruppe fotografiert und diskriminiert - musste das Geschäft im Herbst 1937 aufgegeben werden.

Im Dezember 1941 brachte die Kempener Polizei auf Anordnung der Gestapo Isidor, seine Frau Johanna und seine Schwester Hannchen in das Haus Josefstraße 5 (an der Stelle des heutigen Hauses Heilig-Geist-Straße 21), wo sie man sie mit weiteren acht Juden zusammenpferchte. Am 25. Juli 1942 wurden die drei nach Theresienstadt deportiert und von dort weiter nach Treblinka, wo sie umkamen. Oder da ist Andreas Rath, alten Kempenern noch gut bekannt. Ein freundlicher, zurückhaltender Mann mit dicken Brillengläsern, ärmlich gekleidet, der das Rindvieh der jüdischen Viehhändler zu deren Weiden am Krefelder Weg trieb. Am 10. Dezember 1941 wurde er nach Riga deportiert. Dort ist er Ende 1942 im KZ Salaspils verhungert. Vereint, wie sie waren im Leben und im Tod, zeigt Helmraths Doppelporträt die Eheleute Mendel. 1939 besuchte der Viehhändler Kurt Mendel aus Kempen in Köln eine jüdische Handwerksschule. Er wollte Schreiner werden, damit ein ausländisches Land ihn aufnahm. Dort lernte ihn Emmi Dahl kennen, Tochter eines jüdischen Metzgers in Dorrmagen. In einem überfüllten Waggon, der sie 1941 mit vielen anderen nach Riga deportierte, sahen die beiden sich wieder und beschlossen zusammenzubleiben. Gemeinsam standen sie die Zeit im KZ durch; bei ihrer Befreiung wog Emmi Dahl noch 34 Kilo, hatte Typhus, eine Rippenfellentzündung und Fleckfieber und der linke Zeh war ihr abgefroren. 1947 heirateten sie in der Kölner Synagoge. 1956 verlegten sie ihren Wohnort von Kempen nach St. Hubert. Auf dem Kempener Judenfriedhof suchten sie sich ein gemeinsames Grab aus. Dort wurden sie auch beigesetzt: Kurt am 6. September 2007, seine Frau Emmi am 28. Dezember 2011.

Theodor Schlagermann, seit Anfang 1933 Ortsvorsitzender der SPD in Kempen, kämpfte im Untergrund gegen die Nazis. Von Mitbürgern denunziert, wurde er zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach dem Krieg war er bis zu seinem Tode Sprecher der Kempener SPD-Fraktion, Kreistagsmitglied und Ortsvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt. Helmraths Bild zeigt ihn im Jahre 1934 mit der Schirmmütze, wie sie damals allgemein von Arbeitern als Zeichen ihres Standes getragen wurde.

(hk-)
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