Klanghaltestelle Fussnoten Zur Fastenzeit (4) Widerspruch in dahinfliehender Zeit

Kempen · Seit einiger Zeit schreibe ich mit Jonas Mekas. Der 1922 in Litauen geborene Dichter und Filmemacher ist auch noch im hohen Alter überaus kreativ und offen für neue Impulse. Mekas ging nach dem Zweiten Weltkrieg als Staatenloser nach New York. Dort wurde er Mitbegründer einer avantgardistischen und unabhängigen Filmszene. Markenzeichen seiner Filmkunst sind die scheinbar bebenden Bilder, die durch unterschiedliche Geschwindigkeiten von Bildfolgen und schnellen Schnitten den Eindruck von einem zitternden Zelluloid hervorrufen. In seiner neusten DVD- Produktion nach einem Film von 1983, "He stands in a desert counting the seconds of his life", führt Mekas mit seiner "Wackelkamera" eine Art filmisches Tagebuch. Skizzenhaft schildert er über zwei Jahrzehnte hinweg Landschaften und Städte, hält Episoden und Begegnungen u.a. mit Yoko Ono, John Lennon, Andy Warhol fest.

So, wie er seine Kamera unmittelbar auf das alltägliche Leben richtet, so lauscht er mit dem Kameramikrofon auch die Musik direkt dem Radio oder dem Lautsprecher an einem Plattenspieler ab. Verzerrt und doch ganz vital erklingt dann Chopin, Renaissance- oder auch Popmusik. Allerdings untermalt die Musik den Film nicht, vielmehr unterwandert sie ihn. So sind es immer wieder Fragmente aus Richard Wagners Vorspiel zu dessen Bühnenweihfestspiel "Parzival", die sich in die Banalität des Alltags schieben. Das erste Thema dieser Musik, das "Liebesthema" erklingt dann etwa zu den Bildern, die von einem freundschaftlichen Kaffeetrinken erzählen. Das zweite, das "Glaubensthema" scheint dann etwa die Augenblicke eines vergnüglichen Frisbee-Spiels geradezu zu konterkarieren. Dass die erste Tonfolge dieses Thema dann auch noch ein wenig an die in "Dur" verwandelte Melodie des Passionschorals "O Haupt voll und Wunden" erinnert, lässt das ganze noch rätselhafter erscheinen.

Die Filmmusik bei Jonas Mekas funktioniert wie ein Merkzeichen, ein musikalisches buntes Post-It von Einspruch und Widerspruch in der dahin fliehenden Zeit. Dieses klangliche Zettelchen markiert einen Augenblick und unterstreicht so die Aura seiner Besonderheit. Lesen, Schreiben, Filmen und Singen - das wird so bei Mekas zu einer beiläufigen und dennoch hymnischen eine Feier des Lebens.

Links zu der Musik: Parzival, Vorspiel von Wagner: "https://www.youtube.com/watch?v=7_4S7mgdeuU"\\t"_blank"

Ein Ausschnitt aus Mekas Film (allerdings nicht die betreffenden Szenen, dennoch ein guter Ein-druck von seiner Art der Filmkunst)

"https://vimeo.com/179888218" \\t "_blank" Marcell Feldberg

(RP)
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