Serie Jubiläum Des Luise-Von-Duesberg-Gymnasiums (letzter Teil) "Wo nehm' ich das Schulgeld her?"

Kempen · Vieles, was das Kempener Mädchengymnasium bis zum Bezug seines heutigen Gebäudes prägte, ist längst vergessen: das "Puddingabitur" des hauswirtschaftlichen Zweiges; das oft unerschwingliche Schulgeld; das Abbröckeln des alten Gebäudes.

 In einem Fassadenbild, finanziert von Bauunternehmer Ralf Schmitz, lebt das alte Schulgebäude weiter.

In einem Fassadenbild, finanziert von Bauunternehmer Ralf Schmitz, lebt das alte Schulgebäude weiter.

Foto: wolfgang kaiser

KEMPEN "Städtisches neusprachliches Mädchengymnasium" - so hieß das heutige "Luise-von-Duesberg-Gymnasium" seit September 1950. Und so sollte die Schule 30 Jahre lang heißen, bis sie am 4. Juni 1980 ihren heutigen Namen erhielt. "Mädchengymnasium" - das ist der Name, den die meisten Kempener heute noch mit ihr verbinden.

An einem neusprachlichen Mädchengymnasium lag - im Gegensatz zu einem Gymnasium für Jungen - der Schwerpunkt auf den Fremdsprachen, demgegenüber traten die Naturwissenschaften stark zurück. Vor allem aber: Seit Ostern 1950 bedeutete "Mädchengymnasium" in ganz Nordrhein-Westfalen, dass die Schülerinnen in der Untertertia (heute: Klasse 8) zwischen zwei Abschlüssen wählen konnten. Die eine Möglichkeit: Sie konnten den wissenschaftlichen Zweig besuchen, der zur Hochschulreife führte. Hier gab es eine schriftliche Abiturprüfung in Deutsch, Mathematik, Englisch, Französisch und Latein. In einem dieser Fächer konnten sie zusätzlich zu einer mündlichen Prüfung aufgerufen werden. Das erfuhren sie aber erst am Prüfungstag.

Die andere Möglichkeit: Sie entschieden sich ab Klasse 8 für den Besuch der "Frauenoberschule". Hier erhielten sie nur noch in Englisch und Französisch Unterricht, mit der Obersekunda (heute: Klasse 11) sollten sie wahlweise nur noch in einer in einer dieser beiden Fremdsprachen unterrichtet werden. Dafür gab es in der Frauenoberschule die klassischen "weiblichen" Fächer Gesundheits- und Ernährungslehre, Kochen, Hauswirtschaft und Garten, Nadelarbeit, Kunst und Werken. Aber der Schule fehlten dafür die erforderlichen Fachräume. So wurde der Kochunterricht in den Klassen 9 und 10 in privaten Küchen, später in der Kreisberufsschule durchgeführt. "Puddingabitur" nannte der Volksmund die Reifeprüfung, die man in dieser Frauenoberschule ablegen konnte. Das Problem in Kempen: Wegen der fehlenden Fachräume für Hauswirtschaft konnte die Oberstufe dieser Frauenoberschule mit den Klassen 11 bis 13 vor Ort gar nicht eingerichtet werden. Wer das "Puddingabitur" ablegen wollte, musste das also an einer auswärtigen Frauenoberschule tun. Deshalb lief die Frauenoberschule 1959 in Kempen aus, und es gab am Mädchengymnasium nur noch den neusprachlich-wissenschaftlichen Ausbildungszweig.

Der erhielt erst 1952 verbindliche Lernziele. Während des Vakuums, das das "Dritte Reich" hinterlassen hatte, war bei den Lehrplänen mehr oder weniger improvisiert worden. Jetzt gab es wieder klare Vorgaben. Die Zielsetzung des Unterrichts sollte "auf den ganzen Menschen" gerichtet sein. Der Schüler wurde definiert als eine "auf Gott hin gerichtete Einheit von Leib und Seele." Konkret: Verstand und Willen, Gemüt und Fantasie, körperliche Fähigkeiten sollten in gleichem Maße gefördert werden. Das nannte man "Christlichen Neuhumanismus".

 1964 begann der Bau der Schule an der Berliner Allee.

1964 begann der Bau der Schule an der Berliner Allee.

Foto: Kreisarchiv

Heute scheint eine solche Zielrichtung hoffnungslos altmodisch. Aber man sollte sie nicht belächeln, denn sie öffnete allmählich die Tür zu einer Pädagogik, die sich an einer veränderten Welt orientierte. Ziel des Geschichtsunterrichts war nun die Überwindung von Nationalismus und Rassismus; die des Biologieunterrichts die Ehrfurcht vor allem Leben. 20 Jahre zuvor hatten die Nazis noch die "Ausmerzung unwerten Lebens" propagiert. "Wie stehen Sie zu der Idee der Vereinigten Staaten von Europa?" lautete 1955 ein Aufsatzthema in Deutsch. 15 Jahre zuvor hatte Deutschland noch um die Beherrschung Europas gekämpft. Vor allem aber: In der Schule gab es kein "Führerprinzip" mehr, die Schüler waren nicht länger Befehlsempfänger. Es ging nicht mehr um Pauken nach dem Gießkannenprinzip, sondern um die Vermittlung von Beispielen und Grundeinsichten, es ging um "exemplarisches Lernen". Aber von einer Erziehung zu Kritikfähigkeit und Emanzipation, wie sie die neuzeitliche Pädagogik verlangt, war man noch weit entfernt.

Dabei wäre Kritik an der gesellschaftlichen Wirklichkeit oft angebracht gewesen. Zum Beispiel daran, dass gymnasiale Bildung ein Privileg der Begüterten war. Das Schulgeld betrug jährlich 240 Mark, eine Summe, die man nach heutigen Maßstäben mit zehn Euro multiplizieren kann. Eltern mit geringem Einkommen mussten sich gewaltig einschränken, um ihrer Tochter den Besuch des Mädchengymnasiums zu ermöglichen. Zwar gab es auf Antrag Ermäßigungen, aber ihre Zahl war begrenzt und hing von besonderen Leistungen der Schülerin ab. Dr. Helmut Grießmann, Schulleiter von 1974 bis 1993, hat in seiner 1983 erschienenen, beispielhaften Schulgeschichte den Ermäßigungsantrag eines Ostflüchtlings für seine Tochter publiziert. Da heißt es: "Heute versuchte der Vollziehungsbeamte, 250 Mark rückständiges Schulgeld bei uns einzutreiben. Leider vergeblich. Außer drei Betten, einem Tisch, einem Herd und drei Stühlen besitze ich nur noch einige abgetragene Wäsche- und Kleidungsstücke. Nach meiner Entlassung aus französischer Kriegsgefangenschaft und längerer Krankheit war ich arbeitslos, habe erst vor einem Jahr eine Stelle gefunden. Mein Stundenlohn beträgt jetzt eine Mark. Nach Abzug der Miete und der Abzahlung für die Betten verbleiben zum Leben 140 Mark im Monat. Davon sind Lebensmittel und Kleidung für vier Personen zu bestreiten." Erst 1959 fiel das Schulgeld weg. Die Krux war, dass das Mädchengymnasium gänzlich durch die Stadt Kempen finanziert wurde, und die verfügte damals nur über geringe Steuereinnahmen. 1954, 1957 und 1961 erwog man die Zusammenlegung mit dem zu jener Zeit noch staatlichen Thomaeum, aber das hätte nur geringe Einsparungen gebracht und die Mädchenschule ihres besonderen Charakters beraubt. Erst das Schulfinanzgesetz von 1959, das die Personalausgaben zum Teil dem Land schulterte, brachte der Stadt eine spürbare Erleichterung.

Eine Belastung war vor allem das Schulgebäude am Moorenring, das man 1948 nach Ausweichquartieren an der Vorster Straße und am Hessenring wieder bezogen hatte. Das Gebäude, um 1870 errichtet, war im Krieg schwer beschädigt worden. Jetzt rächte sich die Nachkriegs-Wiederherstellung mit schlechtem Material. Das Haus war einsturzgefährdet und - für 15 Klassen im Jahre 1955 - zu klein. 1960 lösten sich während der Unterrichtszeit tellergroße Stücke aus dem Deckenputz einer Klasse und fielen zwischen die erschrockenen Mädchen. Zum Glück wurde niemand getroffen. Der gleiche Schaden trat schnell hintereinander in mehreren Klassenzimmern auf, und die Schulaufsicht sprach vom "zweitschlechtesten Schulbau in Nordrhein-Westfalen." Ein Neubau an anderer Stelle ist längst überfällig. Der neue Stadtdirektor Klaus Hülshoff, 1960 nach Kempen gekommen, beschafft der Schule 1962 10 000 Quadratmeter städtisches Bauland zwischen der Wachtendonker Straße, dem Ludwig-Jahn-Sportplatz und einer Wohnstraße, die als "Berliner Allee" erst in der Planung ist. Hier, auf den Wiesen, die vordem dem Bauern Karl Pielen gehört haben, beginnen im Januar 1964 die Arbeiten für das neue Schulgebäude.

Währenddessen wird das alte Haus am Moorenring immer hinfälliger. In den Mauern tun sich lange Risse auf, und im September 1966 fallen Brocken auf die Straße. Den Eltern werden die Wochen bis zur Übersiedlung an die Berliner Allee sehr lang. Die findet dann vom 1. bis zum 3. Dezember 1966 statt. Das Moorenring-Gebäude aber wird für 350.000 Mark an die Post verkauft und für die neue Post abgerissen. Ein realistisches Fassadengemälde, 1979 von dem bei Augsburg lebenden Künstler Reinhart Heinsdorff am benachbarten Haus in der Thomasstraße ausgeführt, erinnert heute noch an das einstige Mädchengymnasium und Lyzeum.

(hk-)
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