Kevelaer 50 Tote - vor 70 Jahren ereignete sich Gochs schwerstes Bahnunglück

Kevelaer · In der Novemberausgabe von "An Niers und Kendel" hat der Experte Werner Verfürth erstmals Informationen über den Zusammenprall zweier Züge am 13. August 1945 zusammengetragen. Rund 50 Menschen starben auf den Gleisen.

Es ist eine dieser Geschichten, über die auch alteingesessene Niederrheiner nicht viel wissen dürften - wenn sie denn überhaupt je davon gehört haben. Und das, obwohl es sich bei den Ereignissen v im August 1945 um das aus heutiger Sicht schwerste Bahnunglück am Niederrhein handelt. Dennoch bedurfte es einer Anfrage aus Belgien ans Gocher Stadtarchiv vor genau einem Jahr, um den damaligen Archivar Hans-Joachim Koepp und in der Folge den Gocher Eisenbahnexperten Werner Verfürth auf die Aufarbeitung der Tragödie anzusetzen.

In einer Mail hatte Jean-Louis Marichal nach Details zu jenem Unfall gefragt und bezog sich dabei "auf einen Bericht in einer Zeitung in Adelaide in Südaustralien [...]. Er hatte den Bericht im Internet gefunden und wollte über die beim Unglück getöteten Belgier Näheres erfahren", schreibt Verfürth in der aktuellen Ausgabe der "Historischen Zeitschrift für Stadt Goch und Umgebung".

Daraufhin begann Verfürth seine Recherche und stieß zunächst auf besagten Zeitungsartikel. "Die 21. Armeegruppe hat offiziell bekannt gegeben, dass 26 britische und kanadische Soldaten getötet wurden. 50 weitere wurden verletzt, manche davon schwer. Dies geschah bei einem Frontalzusammenstoß eines Urlauberzugs in der Nähe von Goch", hieß es in "The Advertiser" im August des Jahres 1945.

In der Folge beschäftigte sich Verfürth intensiv mit der damaligen Schienensituation und rekonstruierte die Streckenführung zum damaligen Zeitpunkt. Und trotzdem: In "An Niers und Kendel" schreibt Verfürth: "Heute, 70 Jahre nach dem Unfall und ohne Kenntnis amtlicher Unterlagen, ist es nicht mehr möglich, den Zusammenstoß völlig aufzuklären."

Fest stehe allerdings, dass die sogenannten "Fahrtaufträge" wohl eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die erhielt jeder Lokomotivführer in Form eines weißen Zettels an jedem Bahnhof. Und ohne ihn durfte kein Zug die Station verlassen. Organisiert wurde die Verteilung der Zettel von der Zugleitung übers Telefon, das noch vor den Signalanlagen am Gleis vollständig wieder hergestellt worden war.

Verfürth vermutet, dass der folgenschwere Fehler in jener Schicksalsnacht in Pfalzdorf passiert sein muss. Denn obwohl für die beiden unfallbeteiligten Züge, sowohl den aus Richtung Hassum kommenden Militärzug von Brüssel nach Münster, als auch den Militärzug aus Richtung Emmerich, laut Zugleitung die Kreuzung in Pfalzdorf vorgesehen war, fuhr letzterer dort ohne "Fahrtauftrag" los. Verfürth: "Der Lokführer hatte zwar ein Signal eines Weichenwärters bekommen, aber das hatte nur darauf hingewiesen, dass er den Zug ein Stück vorsetzen sollte, um die Weiche freizumachen. Eventuell hat dieser die Anweisung missverstanden und ist ohne Fahrauftrag abgefahren."

Wie es dann weiterging, konnte Verfürths Vater Peter ihm erzählen, denn der hatte in der Nacht im Bahnhof Goch Dienst als Rangierer. Als er zwischen zwei und drei Uhr von einem Wärter von dem losgefahrenen Zug erfuhr, "gab es schon einen fürchterlichen Knall". Peter Verfürth und ein Kollege rannten sofort zum Unfallort und wurden mit vorgehaltenen Gewehren empfangen. Die überlebenden Soldaten vermuteten einen Sabotageakt. "Wir machten ihnen klar, dass wir helfen wollten, durften aber nicht. Tote, Verletzte und umgestürzte Wagons haben wir gesehen und das Schreien der Verletzten gehört. Es war grausam", schreibt Werner Verfürth über die Erinnerungen seines Vaters.

Sowohl das niederländische Lokpersonal, als auch 26 britische und kanadische Soldaten in dem einen, sowie 19 belgische Soldaten in dem anderen Zug, starben in jener Nacht. Insgesamt forderte das Bahnunglück "mindestens 49 Tote und etwa 50 Verletzte", so Verfürth.

Warum den meisten Niederrheinern davon nichts bekannt ist, erklärt der Eisenbahn-Enthusiast ebenfalls: "Sicher lag das daran, dass das britische Militär die deutsche Öffentlichkeit nicht informierte und auch nicht die Presse, die sich ja gerade erst wieder im Aufbau befand. Zudem stand für die Menschen am Niederrhein drei Monate nach Kriegsende der tägliche Kampf ums Überleben im Vordergrund."

Viele weitere Informationen über das Zugunglück, unter anderem auch die Erinnerungen des früheren Bahnhofschefs von Goch, Willi Verheyen, gibt es in der Novemberausgabe von "An Niers und Kendel".

(RP)
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