Kevelaer Gedenken an das große Zugunglück

Kevelaer · Nach all den Kriegstoten und in einer Zeit ohne Zeitungen bekamen von dem folgenschweren Eisenbahnunglück, das sich im Sommer 1945 in Goch ereignete, nur wenige Menschen etwas mit. Spurensuche nach mehr als 70 Jahren.

 Willi Verheyen, 90, war zum Zeitpunkt des Unglücks am Bahnhof beschäftigt.

Willi Verheyen, 90, war zum Zeitpunkt des Unglücks am Bahnhof beschäftigt.

Foto: EVERS

goch / WEEZE Kurze Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam in der Region noch eine größere Gruppe Soldaten samt einiger Zivilisten zu Tode: Am Montag, 13. August 1945, gegen 2.30 Uhr in der Nacht prallten zwei Züge frontal aufeinander. Mindestens 48 Männer starben, etwa 50 wurden verletzt. Es waren Soldaten aus England, aus Australien, aus Belgien sowie Zugpersonal aus den Niederlanden. Historisch Engagierte aus dem Heimatverein Goch trafen sich jetzt mit Nachkommen der damaligen Opfer. Wilhelmus Hendriks, Sohn des Heizers in einem der Züge, sein Cousin Henk Hendriks und Wim Kannemans, ein Freund der Familie, besuchten den Schicksals-Ort.

 Vereint am Ort des Geschehens: Die Heimathistoriker Willi Vaegs (Mitte), Heinz Meuskens (rechts) und Werner Verfürth (3.v.r.) aus Goch und ihre Gäste aus den Niederlanden. Links im Bild Zeitzeuge Willi Verheyen.

Vereint am Ort des Geschehens: Die Heimathistoriker Willi Vaegs (Mitte), Heinz Meuskens (rechts) und Werner Verfürth (3.v.r.) aus Goch und ihre Gäste aus den Niederlanden. Links im Bild Zeitzeuge Willi Verheyen.

Foto: Evers Gottfried

Nur die Älteren können sich an den Eisenbahnbogen erinnern, den britische Eisenbahnpioniere als Abzweig von der normalen Strecke bauten, um rasch über die Boxteler Bahn zur Rheinquerung zu gelangen. Wer heute etwa anderthalb Kilometer nördlich des Bahnhofs den Anna Schüller Weg zum Wasserwerk entlang geht, wird nichts mehr von dem alten Gleis sehen. Am Kilometer-Stein 107 war es, wo der Zug, der aus Richtung Emmerich kam, mit dem, der Richtung Brüssel unterwegs war, kollidierte. Vermutlich, weil der Lokführer ein Signal missverstanden hatte, die Weiche anders gestellt war als erwartet. In der Kurve sah er die Katastrophe erst im letzten Moment auf sich und die Fahrgäste zukommen: Ein sehr langsamer und ein deutlich schneller fahrender Zug prallten aufeinander.

Insbesondere die Soldaten, die sich im ersten Wagen hinter der Lok, einem geräumigen Gepäckabteil, zur Ruhe gelegt hatten, hatten keine Chance. Rund 50 Menschen, nach heutigen Erkenntnissen wahrscheinlich 48, starben. Darunter auch der niederländische Lokführer und der Heizer.

Weil Auskünfte von den britischen Militärs nie zu bekommen waren, hält sich eine etwas mysteriöse Geschichte: Eventuell wurde der brennende Lokführer, der in Panik vom Unfallort wegrannte und aussah, als flüchtete er, auch erschossen. Aber das war nie eindeutig herauszufinden.

Die Gocher selbst bekamen von dem Unglück, das es heute europaweit in die Schlagzeilen schaffen würde, kaum etwas mit. "Wer zu der Zeit überhaupt in Goch war, bewegte sich kaum von seiner Unterkunft weg", erinnert sich Altbürgermeister Willi Vaegs, Vorsitzender des Heimatvereins. Er selbst lebte damals am Ostring, Ecke Kalkarer Straße, etwa drei Kilometer von der Unglücksstelle entfernt. Was die Gocher nicht erfuhren, stand zwei Tage später in Australien in der Zeitung: Am 15. Juli wurden auf der anderen Seite der Welt die australischen und britischen Soldaten betrauert, die am Ende des Krieges einem Unfall zum Opfer fielen. Die eine Gruppe Soldaten war auf dem Weg zum Heimaturlaub in Brüssel und England gewesen, die andere Gruppe hatte eine Kaserne im münsterländischen Oelde zum Ziel gehabt. Beide kamen nicht an. Willi Verheyen ist einer der wenigen Zeitzeugen, die das Geschehen mitbekommen hatten. Er war damals Mitarbeiter des Bahnhofs, in dem in den ersten Monaten nach Ende der Kriegshandlungen britische Soldaten das Kommando gehabt hatten. "Ab Juli wurden dann Deutsche dazu gelassen. Genutzt wurde die Strecke zunächst nur für Militärtransporte. Alles war behelfsmäßig, die Weichen wurden von Hand gelegt, eine Laterne beleuchtete in der Nacht die Signale." Als sein Vater starb, war Wilhelmus Hendriks ein halbes Jahr alt - viel zu jung, um heute eine Erinnerung an ihn zu haben. Dem 72-Jährigen blieb ein Hochzeitsfoto der Eltern und eines, auf dem die Mutter das Baby auf dem Arm hat. Die Chance, einmal die Stelle zu besuchen, wo der Vater ums Leben kam, ergab sich, als die beiden Cousins im Internet die Publikation von Werner Verfürth über den "Metallweg nach Goch - 150 Jahre Eisenbahngeschichte" lasen.

Zu der Veröffentlichung gab es 2013 in der ehemaligen Liebfrauenschule auch eine viel beachtete Ausstellung, 2015 wurde das Drama im Heft "An Niers und Kendel" umfassend beschrieben. Heinz Meuskens, der Vorsitzende des Historischen Arbeitskreises, erläutert, dass die intensive Beschäftigung Verfürths mit dem Thema die Niederländer aufmerksam gemacht habe. Die Männer aus der Gegend um Utrecht suchten den Kontakt zu Verfürth und seiner Arbeitsgruppe und verabredeten den Besuch, "um vor Ort noch mehr aus der Vergangenheit zu erfahren." Die ergreifende Begegnung endete bei einem entspannenden Kaffeetrinken.

(RP)
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