Niederrhein 400 Arbeitsstunden für Römertunika

Niederrhein · Erfolgreiches Experiment: Zwei Archäologinnen haben in Kleinarbeit die antike Webtechnik nachgestellt.

Zum Ende der Sommersaison geschafft: Die Archäologinnen Barbara Köstner und Gisela Michel haben vorzugsweise an den sogenannten Römischen Wochenenden im Archäologischen Park eine Tunika gewebt, wie sie die alten Römer trugen. Eine Forschungsarbeit: In der Literatur gibt es nur ganz wenige Hinweise auf die damals genutzten Techniken.

Nur im durch seine vielen außergewöhnlichen Funde in Fachkreisen weltberühmten Dura-Europos im syrischen Euphrat-Gebiet findet sich eine Vorlage für die Xantener Tunika. Nach Detailaufnahmen jenes Obergewandes wurde nun auch die Xantener Tunika gewebt.

Allein die Arbeitszeit macht das gute Stück fast unbezahlbar: Die beiden Wissenschaftlerinnen wirkten zusammengerechnet 400 Stunden an dem Obergewand in Kindergröße.

Die beiden Weberinnen hatten eine Menge zu tun, um an einer Art "Originalort" zum Erfolg zu kommen. Im Boden unter dem rekonstruierten Handwerkerhaus neben der Herberge war bei der Grabung ein Webgewicht gefunden worden, erklärt Museumspädagogin Dr. Kathrin Jaschke, die das Projekt begleitet.

In der Handwerkerstube hatten die freischaffenden Expertinnen aus Köln und Bonn erst einmal einen alten Webstuhl rekonstruiert. Die 1400 Kettfäden, die nach exakten Berechnungen des an einem Stück zu webenden Kleidungsteils nötig waren, wurden von Hand verknotet. "Stoffe zuschneiden, das gab es bei den Römern damals nicht", sagt Kathrin Jaschke.

Auch die Webhilfen stammten aus den Böden der Colonia Ulpia Trajana. Kamm, Schiffchen - aus Bein natürlich: "Eine wunderbare, weil besonders glatte Hilfe", schwärmte die Archäotechnikerin Gisela Michel, die schon für die im Römermuseum zu sehenden Kleidungsstücke verantwortlich zeichnete. Schneller voran ging's beim Durchziehen der Querfäden damit aber auch nicht.

Für einen einzigen Zentimeter brauchen die beiden Frauen immer gut eine Stunde. Und da dauert es halt, bis 5000 Meter Schafswolle verbraucht sind. Es ist industriell hergestellte Schurwolle, so Kathrin Jaschke.

Von Hand gesponnene hätte den Kostenrahmen des Experiments sicherlich gesprengt, zumal ja auch ein farbiges Muster eingewebt wurde.

Neben vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Herstellungsprozess der Tunika, die zum Schluss auch noch nach Römerart mit Pottasche und Wasser gewaschen wurde, hat die Arbeitszeit des Projekts auch gezeigt, warum die Kleider im Altertum so immens teuer waren.

Solche Gewänder für Erwachsene kosteten damals rund einen Monatslohn, erzählt Kathrin Jasche. Deshalb hatten die Römer auch keine vollen Kleiderschränke: "Eine Tunika wurde immer wieder geflickt, gestopft und selbst vererbt." Und sie war immer auch ein Objekt für Diebe.

Überliefert sind die schlimmsten Verwünschungen von Gästen, die nach dem Thermenbesuch ihre Kleider nicht "wiederfinden" konnten.

Im nächsten Jahr soll das Projekt mit dem Weben einer hochwertigen Erwachsenen-Tunika fortgeführt werden, sagt die Museumspädagogin. Und wenn sich das nötige Geld findet, vielleicht auch - wie in der Antike üblich - mit handgesponnener Wolle.

Asterix-Kumpel Obelix kannte sich da aus: "Die spinnen, die Römer".

(RP)
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