Kalkar AKW: Bratwurst statt Brüter

Kalkar · In Kalkar am Niederrhein gibt es 35 Jahre nach dem Baubeginn des Schnellen Brüters, der keinen einzigen Tag Strom lieferte, wenig Verständnis für die aktuelle Debatte um eine mögliche Renaissance der Kernenergie in Deutschland.

Kalkar. Die herbstliche Sonne lacht hochsommerlich vom blauen Firmament auf das bunte Treiben tief drunten im Kalkarer Ortsteil Hönnepel direkt am Rhein: spielende Kinder ebendort, wo eigentlich Plutonium erbrütet werden sollte. Kalkars Alt-Bürgermeister Karl-Ludwig van Dornick lacht mit: "Kalkar wäre auf einen Schlag tot gewesen, wenn der Brüter ans Netz gegangen wäre", urteilt der 67-Jährige genau 35 Jahre nach dem Baubeginn des Schnellen Brüters.

Ein Geburtstag, den keiner wirklich feiern will, denn zwischen dem Startschuss 1973 und dem endgültigen Aus, datiert vom 21. März 1991, wurden sieben Milliarden Mark in einer der teuersten Ruinen der Welt versenkt. Immerhin 18 Jahre dauerte diese gigantische Geldverbrennung, im Vergleich zu heute eine altertümliche Zeitspanne, schaffte doch die KfW-Bank 550 Millionen Euro mit einem Mausklick.

Aber im Laufe der Jahrzehnte hat sich noch viel mehr geändert: Indien kündigt den Bau von 80 Kernkraftwerken an, Kanzlerin Angela Merkel denkt laut darüber nach, ob die Zeit nicht reif ist für ein "Atomkraft ? Ja bitte!", und Wissenschaftlern aus aller Herren Länder dürfte es wie der größte Witz der Geschichte anmuten, dass aus dem seinerzeit weltweit gepriesenen supermodernen Brutreaktor inzwischen ein gigantischer Freizeitpark namens "Wunderland Kalkar" mit Maskottchen "Kernie" geworden ist, betrieben von dem niederländischen Unternehmer Hennie van der Most, der sich über jährlich 600 000 Gäste freut. Er hatte sich auf eine Zeitungsannonce gemeldet und innerhalb eines Jahrzehntes aus einer vielbelachten "Schnapsidee" eine Goldgrube gemacht.

Eine lebende Brücke zwischen den beiden völlig unterschiedlichen Lebenswelten bildet Karl-Heinz Rottmann. Der heute 53 Jahre alte Kalkarer war während des Brüter-Baus seit 1983 bei der Werksfeuerwehr beschäftigt — der einzige "Überlebende" dieser turbulenten Zeit, der an Ort und Stelle geblieben und heute als Berater im technischen Dienst für den Brandschutz im Wunderland tätig ist. "Kalkar-Fossil" nennen ihn die Kollegen. Der Mann, der seit 15 Jahren für die CDU im Stadtrat sitzt, erinnert sich, dass in der Ära der Großdemonstrationen allen Zahlen zum Trotze dennoch nur eine Minderheit gegen den "Schnellen Natriumgekühlten Reaktor (SNR-300)" war: "Die Mehrheit schwieg."

Auch da ist eine neue Zeit angebrochen, die Jugend anno 2008 strömt zur "Love Parade" auf die Straße, aber zu einer Großdemonstration? Rottmann jedenfalls weiß noch genau, an welchem Tag das Ende der bis zu 93 Meter hohen Anlage wirklich kam: Am 26. April 1986, der Katastrophe von Tschernobyl, war's um die Politik geschehen, auch wenn es noch fünf Jahre dauern sollte, bis Bundesforschungsminister Riesenhuber (CDU) das Projekt beerdigte. Die Proteste wurden zu lautstark, angeführt von der Galionsfigur, Bauer Josef Maas, der später seinen Grund und Boden an die Brüter-Betreibergesellschaft verkaufte, nach Blomberg ins Lippische zog und inzwischen in aller Stille starb.

Für die Stadt Kalkar selbst war diese Entwicklung ein Segen, sagt Karl-Ludwig van Dornick (CDU) heute. Er denkt zurück an die damalige Stimmung, als den benachbarten Milchwerken Wöhrmann "nahegelegt wurde, nicht mehr den Namen Kalkar auf ihre Produkte zu drucken, weil die Kunden sonst Angst vor verseuchten Erzeugnissen bekommen".

Für van Dornick selbst markiert das "Aus" des Mega-Projekts seinen "größten politischen Sieg". Denn schon zwei Stunden vor der Riesenhuber-Verkündung hatte er sich an seine Schreibmaschine gesetzt und Wiedergutmachung für den wirtschaftlichen Verlust der 14 000 Köpfe zählenden Stadt gefordert. Der Plan des listigen Niederrheiners ging vollständig auf: "Aus für Brüter — Bürgermeister fordert Entschädigung" titelten die deutschen Zeitungen und der David aus Kalkar gewann den Zweikampf mit dem Goliath Bundesregierung: Mit dem Projekt "Kalkar 2000" flossen 120 Millionen Mark an Zuschüssen in die Region. Damit schuf Kalkar 750 Arbeitsplätze — Ausgleich für die verloren gegangenen 1000 Stellen im Brüter.

(RP)
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